Fernkältesystem Chemnitz
Analyse des Systembetriebs (Teil 1)
In dieser zweiteiligen Fachbeitragsserie analysieren die Autoren das Fernkältesystem der Stadt Chemnitz. Dabei zeigen sie die Funktionsweise der einzelnen Komponenten der Anlage auf und verweisen in ihrer Schlussfolgerung im zweiten Teil der Serie (Ausgabe KKA 04/09) auf Optimierungspotentiale bzw. Anforderungen an einem effizienten Betrieb.
Das Bestandssystem (1993-2006) | In Chemnitz werden viele Kälteverbraucher in der Innenstadt (Kaufhäuser, Bürogebäude, Oper, Rechnercluster der TU Chemnitz usw.) mit Kaltwasser über das Fernkältenetz versorgt (Bild 1). Ca. 93 % des jährlichen Kälteabsatzes entfallen auf die Klimatisierung und ca. 7 % benötigt die technologische Kühlung. Besonders bemerkenswert ist, dass in den letzten zehn Jahren der jährliche Kälteabsatz und die Kundenanschlüsse stetig gestiegen sind.
Das Kaltwasser wird in einer zentralen Anlage (Bild 2) erzeugt. Diese befindet sich unweit von den Verbrauchern am Rand der Innenstadt. Die Absorptionskältemaschinen (KM1 und KM2 seit 1993, KM3 seit 1998) setzt man als Grundlastmaschinen und die Kompressionskältemaschinen (KM4 seit 2002 und KM5 seit 2004) als Spitzenlastmaschinen ein. In Tabelle 1 sind alle wichtigen Informationen zum System zusammengefasst.
Die Speichernachrüstung (2007) | Auf Grund des kontinuierlichen Zuwachses an Fernkältekunden in Chemnitz und der extrem hohen Lasten im Sommer 2003 standen die Stadtwerke vor der Aufgabe, die Kälteleistung der zentralen Kälteerzeugung zu erhöhen. Die Fragestellung der Nachrüstung wurde im Rahmen einer Machbarkeitsuntersuchung (Stärkung der Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung mittels Kältespeicherung [1], [2]) untersucht. Diese Untersuchung zeigt, dass durch die Nachrüstung eines Kaltwasserspeichers im großtechnischen Maßstab (Umsetzung durch ein Pilotprojekt [3], Gemeinschaftsprojekt der Stadtwerke Chemnitz und der TU Chemnitz) signifikante wirtschaftliche, energetische und ökologische Vorteile erschließbar sind [4], [5].
Energiewirtschaft und Betrieb | In der Machbarkeitsuntersuchung wurden energiewirtschaftliche Prämissen beachtet, die den Einsatz von überschüssiger Wärme – hier aus dem städtischen Heizkraftwerk – forcieren. Durch die Systemlösung bzw. den Speichereinsatz konnten zwei wesentliche Probleme der Absorptionstechnik relativiert werden: a) die höheren Investitionskosten einschließlich Rückkühltechnik und b) die höheren verbrauchsgebundenen Kosten (elektrische Hilfsenergie und Wasserverbrauch der offenen Kühltürme), die auf höhere Energieströme bei der Rückkühlung zurückzuführen sind [6].
Der Ansatz basiert auf einer noch intensiveren Nutzung der Absorptionskältemaschinen (Erhöhung der Nutzung bzw. der Laufzeiten). Dieses ermöglicht ein Speicher, welcher die Kälteerzeugung weitgehend von den Netzlasten entkoppeln kann. Damit ist ein höherer Wärmeabsatz, hier 2 GWh/a, bei einer gleichzeitigen Substitution von Elektroenergie zur Kälteerzeugung, in diesem Fall 150 MWh/a, möglich (Doppelvorteil) [7].
Weiterhin bietet der Einsatz dieses Kurzzeit-Kältespeichers folgende Vorteile bezogen auf Absorptions- und Kompressionskältemaschinen:
n Betrieb der Kältemaschinen an optimalen Betriebspunkten,
n Erhöhung des Wärmeverhältnisses bzw. der Leistungszahl,
n lange Laufzeiten mit geringen Verlusten im Vergleich zum taktenden Betrieb (Optimierung des Maschineneinsatzes),
n Nutzung von Niedertarifzeiten der Elektroenergiewirtschaft,
n Reduktion der elektrischen Spitzenlast (relevant für leistungsgemessene Kunden und Kraftwerksbetreiber),
n ggf. Bereitstellung von Regelenergie.
n Betrieb des Rückkühlsystems bei günstigen Außenluftzuständen (z. B. Nachtnutzung mit niedrigeren Feuchtkugeltemperaturen im Vergleich zum Tag),
n stabilerer Systembetrieb (z. B. Temperaturen) und gute Anpassung der Leistung bzw. der Volumenströme,
n Notversorgung des Netzes mit wenig Elektroenergie.
Motivation des Beitrages | Die genannten Vorteile eröffnen hinsichtlich der Konzeption, der Planung und des Betriebes äußerst interessante Optionen. Man muss aber wesentliche Annahmen beachten. Die Absorptionskältemaschinen sollen weitgehend mit Volllast betrieben werden. Der Kältespeicher übernimmt dann die Anpassung hinsichtlich fehlender Last oder Leistung. Über diesen Ansatz ist es möglich, maximale Wärmeverhältnisse und spezifisch niedrige Verbräuche zu erreichen. Im Volllastbetrieb können außerdem die Annahmen aus der Konzeption bzw. Planung am besten eingehalten werden. Folgende wichtige Fragestellungen ergeben sich demzufolge aus dem erläuterten Ansatz:
Wie funktioniert das System tatsächlich? Das heißt speziell:
n Funktioniert das Zusammenspiel zwischen den Komponenten Kältemaschinen, Speicher und Netz?
n Können die postulierten Vorteile unter realen Bedingungen erreicht werden?
Netz und Fernkältelasten | Seit dem Start des Monitorings traten nur maximale Lasten mit ca. 6 MW auf (Bild 3, vgl. mit [12]). Dieses ist auf die niedrige Außentemperaturen in der Nacht (kleiner als 20 °C) zurückzuführen. Offensichtlich nutzen viele Fernkältekunden parallel eine Nachtauskühlung der Gebäude. Des Weiteren müssen für Spitzenlastsituationen extrem hohe Außentemperaturen (über 30 °C) bzw. eine lange Periode mit hohen Mittelwerten der Außentemperatur vorliegen. Nach eigenen Abschätzungen betragen dann die maximalen Lasten ca. 10 MW.
Im Beitrag wird eine typische Sommerperiode mit niedrigen und hohen Netzlasten untersucht (23. bis einschließlich der 26. Kalenderwoche (KW) 2008, 02.06. bis 29.06.2008, Bild 4). Ausgangspunkt der Betrachtungen zum Systemverhalten der Kälteerzeugung bildet die Analyse der Netztemperaturen (Bild 5). Die Rücklauftemperaturen weisen ausreichend hohe Werte mit einem geringen Schwankungsbereich und mit einer geringen Abhängigkeit von der Netzlast aus. Die Kaltwassertemperatur zu den Kältemaschinen ist auf Grund der teilweisen Mischung an der hydraulischen Weiche niedriger (höherer Volumenstrom kältemaschinenseitig zur Sicherstellung der Sollvorlauftemperatur im Netz). Im Bereich größer 2 MW mit einer mittleren Temperaturdifferenz zwischen Netzeintritt und Kältemaschinenzulauf von 1,0 bis 2,0 K wird eine weitere Reduktion aus exergetischen Gründen angestrebt. Weiterhin treten stärkere Mischeffekte im Bereich niedriger Lasten (kleiner 2 MW, nicht konforme Mischung in Abbildung 4) auf. Die erste Ursache hierfür liegt nach Voruntersuchungen bei zwei Fernkältekunden, deren Übergabestationen nicht optimal funktionieren. Diese verursachen Volumenstromschwankungen (Einfluss des Regelventils), die vor allem bei niedrigen Lasten auftreten bzw. nachweisbar sind. Bei derartigen Fällen muss die jeweilige Übergabestation in Abstimmung mit dem Netzbetreiber oder durch den Netzbetreiber verbessert werden (vgl. mit [13]). Die zweite Ursache liefert die Betriebsweise der zentralen Kälteerzeugung. Es ist nach wie vor möglich, dass eine Kältemaschine ohne Speicherbetrieb das Netz versorgt (Bild 4, Bild 6). Dieses ist mit einem höheren Volumenstrom auf der Kältemaschinenseite verbunden, was zu niedrigen Zulauftemperaturen führt. Diese Betriebsweise wurde im Rahmen der ständigen Optimierung als ungünstig eingestuft und deaktiviert.
Die Kaltwasser-Vorlaufttemperatur wird in Zusammenhang mit den Kältemaschinen diskutiert (siehe KKA 5/09). Bild 5 zeigt aber auch, dass die Netzvorlauftemperaturen auf Grund des hydraulischen und regelungstechnischen Verhaltens der zentralen Kälteerzeugung schwanken, was bei niedrigen Netzlasten (kleiner 2 MW) zunimmt. Weil durch den Netzvorlauf schwankende Temperaturen nur wenig ausgeglichen werden können und weil derartige Schwankungen wiederum das Regelungsverhalten der Übergabestationen beeinflussen, sind weitere Optimierungsmaßnahmen auf Seiten der Zentralen Kälteerzeugung geplant.
Die Quellenangaben, die in eckigen Klammern gesetzt sind, finden Sie im Beitrag auf unserer Internetseite (www.kka-online.info). Der Beitrag wird in KKA 5/09 fortgesetzt.