Chancen für Großwärmepumpen
DKV-/IZW-Webinar „Herausforderungen 2021“
Zum neunten Mal veranstalteten DKV und IZW am 9. März 2021 gemeinsam das Kolloquium „Aktuelle Herausforderungen für die Kälte-, Klima- und Wärmepumpentechnik“. Pandemie-bedingt fand die Veranstaltung als Webinar statt. Wärmepumpen für industrielle und gewerbliche Prozesse standen im Mittelpunkt der zwölf spannenden Vorträge.
Die Vorsitzenden des DKV (Deutscher Kälte- und Klimatechnischer Verein, www.dkv.org), Dr.-Ing. Holger Neumann, und des IZW (Informationszentrum Wärmepumpen und Kältetechnik, www.izw-online.de), Dr.-Ing. Jürgen Süß, stellten zu Beginn des Kolloquiums in ihren Grußworten die hohe Bedeutung von Großwärmepumpen heraus. Jürgen Süß betonte, dass die Wärmepumpe im Rahmen der Energiewende eine große Rolle spiele und bedauerte, dass Abwärme noch zu oft als „Abfall“ betrachtet werde. Vor allem Großwärmepumpen in Industrie und Gewerbe könnten Abwärme ideal nutzen. Auch wenn noch viel Potential ungenutzt bleibe, freute sich Holger Neumann, dass sich Großwärmepumpen mehr und mehr durchsetzen könnten. Die Wärmepumpentechnik sei – im Gegensatz zur Wasserstofftechnik – eine bereits bestens ausgereifte und weltweit erfolgreich eingesetzte, umweltschonende Anwendung für Industrie und Gewerbe. Welche Potentiale hier noch schlummern und mit welchen technologischen Ansätzen sie gehoben werden können, belegten die Vorträge des Kolloquiums.
Dänemark als europäisches Vorbild
Benjamin Zühlsdorf, Danish Technology Institute, zeigte in seinem Vortrag auf, dass unser Nachbarland Dänemark im Bereich Großwärmepumpen als europäisches Vorbild dienen kann. Der dortige hohe Anteil des regenerativ erzeugten Stroms durch Windkraft und die weite Verbreitung der Fernwärme bergen ein enormes Potential zur Dekarbonisierung des Wärmesektors. 2020 habe es in Dänemark einen regelrechten Boom bei Großwärmepumpen gegeben, mit einem Zuwachs an Leistung um 350 MW auf insgesamt 450 MW. Viele Einsätze habe es vor allem im Bereich Nah- und Fernwärmeversorgung (district heating) gegeben. Hier hätten sich Wärmepumpen als bevorzugte Technologie für Betreiber durchgesetzt und Biomasse-Anwendungen zurückgedrängt.
Oft werden Luft oder Überschusswärme von industriellen Prozessen als Wärmequelle genutzt, während auch Meerwasser an Bedeutung gewinnt. Meerwasser ist gerade bei den großen Kapazitäten von mehreren Megawatt vorteilhaft und ist in nahezu allen dänischen Großstädten verfügbar. Ein aktuelles Beispiel ist das kürzlich vergebene 50 MW-Projekt in Esbjerg, welches Anfang 2023 ans Netz gehen soll. „Die Leute werden kreativ, wo und wie man ungenutzte Wärmequellen anzapfen kann“, stellte Benjamin Zühlsdorf fest. Und dieses Wissen werde geteilt. „Der Best practise-Gedanke sowie der technologische Austausch werden sehr gepflegt in Dänemark. Wir lernen voneinander.“ So wurden z.B. Technologiekataloge erstellt, auf die alle zugreifen können. Eine Herausforderung – nicht nur für Dänemark – seien noch die Hochtemperaturwärmepumpen für Anwendungen in der Industrie mit Temperaturen über 100 °C, weil hierfür Ammoniak als erprobtes Kältemittel nicht verwendet werden könne.
Zühlsdorf sieht Wärmepumpen auf jeden Fall als Schlüsseltechnologie und prognostiziert weitere Zuwächse, da sich die ökonomischen Rahmenbedingungen durch eine sinkende Diskrepanz zwischen Strom- und Gaspreis immer weiter verbesserten. Wärmepumpen seien ein wesentlicher Baustein, um die ambitionierten Klimaschutzziele in Dänemark – Reduzierung der CO2-Emissionen bis 2030 um 70 % im Vergleich zu 1990 – zu erreichen.
Wärmepumpen in Österreich
Den (Wärmepumpen-) Blick in unser Nachbarland Österreich ermöglichte Dr. Veronika Wilk vom Austrian Institute of Technology in Wien. Ende 2019 waren dort bereits rund 400 Industriewärmepumpen verbaut. Hier habe es ein deutliches Wachstum gegeben, was in dieser Form in einer Studie aus dem Jahr 2016 noch nicht einmal für den optimistischsten Fall prognostiziert worden war. Wärmepumpen für industrielle Anwendungen würden in Österreich laut Dr. Wilk als ein zentrales Element in der zukünftigen Energieinfrastruktur gesehen und könnten einen wichtigen Beitrag zur Effizienzsteigerung industrieller Prozesse und zur Vermeidung von CO2-Emissionen leisten.
Im Rahmen eines Forschungsprojekts wurden rund 70 Wärmepumpeninstallationen in österreichischen Industriebetrieben erhoben und analysiert. Die meisten bereits realisierten Projekte in Österreich findet man im Bereich der Lebensmittelindustrie (meist interne Nutzung), in Kraftwerken (zum Beispiel bei der Rauchgaskondensation) und in Industriebetrieben, die Abwärme erzeugen (z.B. Ziegel-, Bioschlamm- und Stärketrocknung). Eine wichtige Anwendung für Wärmepumpen in der Industrie sei auch die Dampferzeugung. Die gängigsten Wärmequellen sind Prozesse mit Kühlbedarf und Abwärmeströme wie Abluft und Abwasser, denen noch Wärme entzogen werden kann. Außerdem wird die Abwärme von Kältemaschinen, Druckluftanlagen sowie von Rauchgaskondensationsanlagen genutzt. Am häufigsten werden die Industriewärmepumpen zur Beheizung von Gebäuden eingesetzt (rund 50 %) oder um Fernwärme einzuspeisen (ca. 30 %). Prozesswärmebereitstellung kommt in rund 16 % der Fälle vor. Eine aktuelle Studie zur Versorgung der österreichischen Industrie mit 100 % erneuerbarer Energie weist große Potentiale für Industriewärmepumpen aus, nicht nur zur Bereitstellung von Niedertemperaturwärme, sondern auch zur Dampferzeugung und für Industrieöfen.
Fallbeispiele von industriellen Wärmepumpen in der Schweiz
Auch in der Schweiz habe es in den vergangenen Jahren einen großen Anstieg im Bereich der Wärmepumpen gegeben, wie Dr. Cordin Arpagaus von der Ostschweizer Fachhochschule, Institut für Energiesysteme IES in Buchs in seinem Vortrag erläuterte.
Im Segment der Einfamilienhäuser sind die Wärmepumpen wie in Deutschland auch in der Schweiz mit rund 24.000 verkauften Einheiten im Jahr 2020 und einem Marktanteil von etwa 90 % die dominierende Technologie zur Raumheizung und Warmwasserbereitung. Bei den Industriewärmepumpen ist hingegen noch deutlich Luft nach oben. Im größeren Heizleistungsbereich, insbesondere in der Industrie, werden nach wie vor fossil betriebene Wärmeerzeugungssysteme bevorzugt, vor allem wegen des Preisverhältnisses von Gas zu Strom. Der Absatz von Wärmepumpen mit einer Heizleistung über 100 kW lag 2020 bei etwa rund 290 Einheiten, mit wachsender Bedeutung in der Lebensmittel-, Chemie-, Pharma- und Papierindustrie.
In seinem Vortrag gab Dr. Arpagaus einen aktuellen Überblick über 25 Fallstudien zu erfolgreichen Anwendungsbeispielen von industriellen Wärmepumpen in der Schweiz. Die Fallstudien umfassen vor allem Heiz- und Kühlbeispiele der Schweizer Lebensmittelindustrie mit der Produktion von Schokolade, Käse, Essig und Fleisch, sowie die Erzeugung von Fernwärme. Die verwendeten Kältemittel sind meist R134a, R245fa, R1234ze(E), R717 (NH3) und R744 (CO2).
Einige Anwendungsbeispiele zeigen, dass die Integration einer industriellen Wärmepumpe die CO2-Emissionen um 30 % bis 40 % reduziert und eine große Menge an fossilen Brennstoffen eingespart. Potenzielle industrielle Anwendungen finden sich in der Erzeugung von Heißwasser (z. B. für Wasch- und Reinigungsprozesse), Heißluft für Trocknungsprozesse (z. B. Holz, Papier, Klärschlamm, Stärke, Ziegel und Tiernahrung) durch Abwärmenutzung, sowie Niederdruckdampf (z. B. zur Sterilisation und Pasteurisierung von Milch oder Fruchtsaft) unter Verwendung von Kühlwasser oder feuchter Abluft.
Um den Rahmen dieses Nachberichts zu sprengen, soll auf die weiteren spannenden Vorträge des Symposiums nur in einer Auswahl, stichpunktartig und mit den wesentlichen Kernaussagen eingegangen werden.
Vivien Klein, Comitherm GmbH, stellte die Entwicklungsperspektiven von Hochtemperatur-Wärmepumpen größer 100 °C vor. Die Inhalte des Vortrags wurden bereits im KKA-Sonderheft Großkältetechnik 2021 veröffentlicht („Industrielle Hochtemperatur-Wärmepumpen“). Sie finden den Artikel auf der KKA-Webseite www.kka-online.info.
Das Reallabor GWP (Großwärmepumpen in Fernwärmenetzen – Installation, Betrieb, Monitoring und Systemeinbindung) stand im Mittelpunkt des Vortrags von Dr. Andrej Jentsch und Dr. Heiko Huther, AGFW (www.agfw.de). Der Ideenwettbewerb „Reallabore der Energiewende“ war Anfang 2019 durch das BMWi ausgeschrieben worden, um eine ganzheitliche „Erprobung der technischen und nicht-technischen Innovationen in einem realen Umfeld“ zu erforschen. Der AGFW hatte sich mit einem Konsortium aus fünf Versorgungsunternehmen und zwei Forschungsinstituten beworben. In dem Reallabor, das noch bis 2026 läuft, haben sich die Partner u.a. mit der Fragestellung befasst, was besonders effiziente Betriebskonzepte von Großwärmepumpen in Wärmenetzen sein könnten und wie sie die Sektorenkopplung voranbringen. Hierfür werden fünf Großwärmepumpen an verschiedenen Standpunkten errichtet und die dabei gemachten Erfahrungen dokumentiert. Untersuchte Aspekte sind dabei Antragstellung, Installation, Betrieb, Verhalten von Umweltwärmequellen, Kältemittelauswahl, spezifische Wärmenetzkennwerte, CO2-Emissionen, Ressourcenverbrauch, Interaktionen mit dem Stromnetz.
Ivo Eiermann, Johnson Controls, berichtete über Praxisbeispiele zu thermisch und mechanisch angetriebenen Großwärmepumpen in der Fernwärmeversorgung. Dabei ging es vor allem Absorptionswärmepumpen aus dem Hause York bis zu einer Leistung von 20 MW.
Wärmepumpenlösungen von GEA und ihre Anwendung in Industrie sowie in Fernwärmenetzen wurden von Thomas Lergenmüller und Dr.-Ing. Ole Fredrich, GEA Refrigeration Germany GmbH, vorgestellt. Anhand dreier Projektbeispiele demonstrierten sie die Einsatzmöglichkeiten von Wärmepumpen in unterschiedlichen Anwendungsgebieten: Großwärmepumpen für das Fernwärmenetz in Malmö, Schweden; Großwärmepumpen zur Erzeugung von Prozesswärme; Wärmepumpen für den kombinierten Kühl- und Heizbetrieb in der Lebensmittelindustrie.
Um die Leistungssteigerung von Fernwärmenetzen durch thermisch angetriebene Sorptionswärmepumpen ging es im Vortrag von Stefan Petersen, Walther Hüls, Carsten Hausherr und Jan Albers von der TU Berlin, Institut für Energietechnik. In Nah- und Fernwärmenetzen werden u. a. Absorptionskälteanlagen eingesetzt, um im Sommer energieeffizient Kälte für Gebäudeklimatisierung, Krankenhäuser, Veranstaltungszentren, etc. bereitzustellen. In der Heizperiode werden diese Liegenschaften in der Regel mit Fernwärme indirekt über eine Hausanschluss-Station versorgt. Absorptionswärmepumpen können in Fernwärmenetzen verwendet werden, um zusätzliche Wärmequellen (z. B. Umweltwärme) zur Heizungsversorgung einzukoppeln. In ihrem Vortrag stellte die Referenten die Nutzung des Fernwärme-Rücklaufs als Niedertemperatur-Wärmequelle vor. Dadurch kann dieser auf Temperaturen von ca. 20-40 K unter die Gebäuderücklauftemperatur abgesenkt werden. Es ergeben sich ca. 25-40 % weniger Fernwärme-Volumenstrom für die gleiche Heizwärmeleistung und in direkter Folge eine Transportkapazitätssteigerung des FW-Netzes in gleicher Höhe sowie eine Verringerung der Wärmeverluste im Rücklauf. Durch die ganzjährige Nutzung der Absorptionsanlage zur Kälte- und Wärmeversorgung sinken die spezifischen Installationskosten. Gleichzeitig steigt die Transporteffizienz im Netz, da für die gleiche Wärmemenge mehr als 60 % elektrische Energie für die Netzpumpen eingespart werden kann.