Corona-Pandemie: neue Rechtsfragen

Hiermit muss sich die Bauwirtschaft befassen

Die Corona-Krise stellt unsere Wirtschaft und natürlich auch das Recht vor völlig neue Fragen. Dabei bleibt auch eine Schlüsselindustrie wie die Bauwirtschaft von neuen Rechtsproblemen nicht verschont. Somit ist auch davon auszugehen, dass wir diesbezügliche Gerichtsurteile bekommen oder schon haben, die sich insbesondere mit der Thematik der „Behinderung“ bei Abwicklung einer Baumaßnahme, mit dem Thema  „Kündigung“ des Bauvertrags aber auch mit Vergabefragen befassen.

Darf eine öffentliche Ausschreibung wegen Corona wieder aufgehoben werden?

Öffentliche Bauaufträge werden nach den strengen Grundsätzen der VOB/A vergeben. Diese Vergaberegeln sehen unter anderem vor, dass in Ausnahmefällen eine bereits erfolgte Ausschreibung aufgehoben werden kann, wenn sich die Grundlagen der Ausschreibung in einer für den Auftraggeber bei Einleitung des Verfahrens unvorhersehbaren Weise wesentlich verändert haben.

In einem von der Vergabekammer des Bundes entschiedenen Fall (Vergabekammer des Bundes, Beschluss vom 06.05.2020; VK1 – 33/20 – Vergaberechts-Report 20, Seite 26) hatte die Vergabestelle nach Ausschreibung von Arbeitsmarktmaßnahmen allen Bietern mitgeteilt, dass die Vergabe aufgehoben werde, weil sich durch die Coronakrise die Grundlagen des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hätten. Der günstigste Bieter war mit dieser Aufhebung nicht einverstanden und beantragte vor der Vergabekammer die Zuschlagserteilung an ihn. Die Vergabekammer gab diesem Antrag nicht statt und begründete dies mit den gravierenden wirtschaftlichen Folgen durch Betriebsschließungen, die erst nach der Bekanntmachung der Ausschreibung eingetreten seien.

Dies ist zwar kein Fall, der unmittelbar eine Vergabe von Bauleistungen betrifft. Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch Bauausschreibungen im Einzelfall mit ähnlicher Begründung nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB (EU) aufgehoben werden können, wenn der Auftraggeber zu Recht behauptet, dass neue schwerwiegende Gründe gegen eine Vergabe sprechen und diese Gründe erst nach Beginn der Ausschreibung der Vergabestelle bekannt geworden seien.

Behinderungen in der Bauvertragsabwicklung durch Corona

Verlängerung der Ausführungsfrist?

Die Corona-Krise und ihre Auswirkungen auch auf die Abwicklung von Baumaßnahmen werden als ein Fall der „höheren Gewalt“ bezeichnet. Dabei versteht man unter höherer Gewalt „ein Ereignis, welches keiner Sphäre einer der Vertragsparteien zuzuordnen ist, sondern von außen auf die Lebensverhältnisse der Allgemeinheit oder einer bestimmten Vielzahl von Personen einwirkt und objektiv unabwendbar, sowie unvorhersehbar ist“ (BGH vom 22.04.2004 – AZ: III 108/03 –). Liegt ein Fall „höherer Gewalt“ vor, kann der betroffene Vertragspartner (zum Beispiel das Bauunternehmen) zumindest vorübergehend von seiner vertraglichen Leistungspflicht entbunden sein, ohne dass sein Vertragspartner – Auftraggeber – hieraus Ansprüche herleiten kann. Die Konsequenz ist lediglich, dass bei einem VOB-Vertrag die Ausführungsfristen entsprechend verlängert werden (§ 6 Abs. 2 Nr. 1c VOB/B). Die Verlängerung der Ausführungsfrist berechnet sich nach § 6 Abs. 4 VOB/B, also nach der „Dauer der Behinderung mit einem Zuschlag für die Wiederaufnahme der Arbeiten und die etwaige Verschiebung in eine ungünstigere Jahreszeit“.

Mangels Verschulden ist natürlich der Auftragnehmer in diesem Fall nicht verpflichtet, Schadensersatz oder Vertragsstrafe zu leisten.

Im Einzelfall kann auch in Betracht kommen, dass das Vertragsverhältnis aufzulösen ist, weil die Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB weggefallen ist. Dies kommt in Betracht, wenn sich durch die Corona-Krise die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss grundlegend verändert haben (§ 313 Abs. 1 BGB).

Empfehlung

Ist mit einschlägigen Behinderungen im Bauablauf zu rechnen, so ist dem Auftragnehmer dringend zu empfehlen, dem Auftraggeber eine schriftliche Behinderungsanzeige zu schicken, in der konkret aufgezeigt wird, wie sich die Corona-Krise auf den Bauablauf auswirkt. Dabei sind auch die insoweit einschlägigen Gründe (Personalprobleme, Probleme mit Materialbelieferung usw.) zu nennen. Dies sollte nicht nur für den VOB-Vertrag (dort ist es Pflicht nach § 6 Abs. 1 VOB/B), sondern auch für den BGB-Vertrag gelten, um den Auftraggeber über den weiteren Fortgang der Baumaßnahme zu informieren.

Bitte beachten Sie, dass „höhere Gewalt“ nicht in Betracht kommt, wenn einem der Vertragspartner ein (wenn auch nur sehr geringes) Verschulden nachgewiesen werden kann. Ein solcher Vorwurf kann z.B.in Betracht kommen, wenn der Auftragnehmer einen Bauvertrag mit äußerst „engen“ Fristen abschließt, obwohl er wissen konnte, dass diese Fristen nur zu halten sind, wenn trotz der derzeitigen Situation ein völlig ungestörter Bauablauf angenommen werden kann. Bei einer solchen Lage kann sich für den Auftragnehmer anbieten, in den Bauvertrag einen entsprechenden Vorbehalt aufzunehmen.

Mehrkostenansprüche des Auftragnehmers bei Behinderungen durch Corona?

Behinderungen bei Bauvertragsabwicklung sind üblicherweise mit nicht unerheblichen Mehrkosten zu Lasten des Auftragnehmers verbunden. Somit stellt sich die Frage, wer diese Mehrkosten trägt.

Hat der Auftraggeber die Behinderung schuldhaft verursacht, so kann der Auftragnehmer Schadensersatz wegen Verzugs fordern. Aber auch ohne ein Verschulden des Auftraggebers ist ein Entschädigungsanspruch des Auftragnehmers denkbar, wenn der Auftraggeber in sogenannten Annahmeverzug gerät, indem er Mitwirkungshandlungen unterlässt, die für eine ungestörte Weiterarbeit notwendig sind (§ 642 BGB).

Beispiele:

Der Auftraggeber kann (auch ohne ein Verschulden) dem Auftragnehmer kein baureifes Grundstück zur Verfügung stellen.

Die Vorleistungen anderer Unternehmer sind mangelhaft, so dass der Auftragnehmer Bedenken gegen die Weiterarbeit anmelden muss.

Behördliche Genehmigungen werden nicht erteilt.

Somit stellt sich die Frage, ob auch Behinderungen, die durch eine Pandemie ausgelöst werden, Entschädigungsansprüche des Auftragnehmers begründen können.

In seinem Urteil vom 20.04.2017 (AZ:VII ZR 194,13) hat der BGH zum Thema „höhere Gewalt“ und die hiermit verbundenen Kosten folgendes ausgeführt: „Bei höherer Gewalt gerät auch der Auftraggeber nicht in Annahmeverzug.“ Er haftet somit nicht nach § 642 BGB und muss somit dem Auftragnehmer auch keine Entschädigung zahlen, wenn er hierdurch gezwungen ist, seine Mitwirkungshandlungen zu erbringen.

Anlass für dieses Urteil des BGH waren völlig ungewöhnliche gravierende Witterungsverhältnisse, sodass der Auftraggeber nicht in der Lage war, das zu bebauende Grundstück in einem tauglichen Zustand zur Verfügung zu stellen.

Es ist gerichtlich noch nicht entschieden, ob diese Grundsätze auf die Pandemie übertragen werden können.

Beispiel: Der Auftraggeber kann dem Auftragnehmer zum vereinbarten Zeitpunkt die Bauleistung zur Weiterarbeit nicht zur Verfügung stellen, weil das Vorgewerk wegen Corona nicht pünktlich fertig wurde.

Zu diesem Fall hat das Bundesministerium des Innern in einem Erlass vom 23.03.2020 festgestellt, dass der behinderte Auftragnehmer keine Entschädigungsansprüche gegen den Auftraggeber nach § 642 BGB anmelden könne, weil hier ein Fall der „höheren Gewalt“ vorliege.

Es bleibt abzuwarten, ob auch die Gerichte diese Ansicht teilen. In jeden Fall wäre natürlich sehr sorgfältig zu prüfen, ob tatsächlich Corona der Anlass für die Verzögerungen im Vorgewerk waren oder ob hier andere Ursachen ausschlaggebend waren.

Über den Autor:

Dr. Olaf Hofmann arbeitete als Lehrbeauftragter für Baurecht an der Universität der Bundeswehr in München. Aufgrund seiner langjährigen Beratertätigkeit für Bauunternehmen, u.a. als Hauptgeschäftsführer der Bayerischen Baugewerbeverbände, kennt er die Probleme der Baupraktiker aus erster Hand. Er ist Verfasser zahlreicher Standardwerke zum „praktischen Baurecht“ und Mitherausgeber des „Baurecht-Reports“ und engagiert sich bei der „Baurechtsuche“, der wichtigsten Plattform für Baurecht in Deutschland (https://baurechtsuche.de).

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