Zeit für die Eis(speicher)ära

Latentwärmesysteme für Heizung und Kühlung

Keine Kältemaschine, keine fossilen Brennstoffe, keine Treibhausgase. Nur ein riesiger, unterirdischer See, der im Winter zu Eis gefriert. Das soll ausreichen, um Neubausiedlungen und neue Gewerbeeinheiten einer 100 000-Einwohner-Stadt in den Sommermonaten angenehm herunterzukühlen und zusätzlich im Winter sogar mit Heizenergie zu versorgen? Im Schweizer Winterthur glaubt man fest daran. Deshalb wurde die Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) bereits mit einer ent­sprechenden Machbarkeitsstudie beauftragt.

Zum Zweck mehr über das Latentwärmesystem zu erfahren, schauen die Schweizer ausnahmsweise einmal gern nach Deutschland herüber. Denn in Friedrichshafen, auf der hiesigen Seite des Bodensees, wurden bereits die technischen Voraussetzungen für unterirdische Latentwärmetanks aus gefrierendem Wasser für Kühl- und Heizanwendungen nahezu jeder Größenordnung und Nutzungsart geschaffen.

Die Rede ist vom „SolarEis“-System der Firma Isocal, einem Unternehmen aus Friedrichshafen am Bodensee, das schon mehrere namhafte Auszeichnungen für seine Innovation erhalten hat. Welche Erfahrungen haben die Nutzer bisher mit dem „SolarEis“-System gemacht? Wie umweltfreundlich und wirtschaftlich arbeiten diese Anlagen in der Praxis?

Und: Welchen Stellenwert nimmt das Eisspeicher-System mittlerweile am Markt ein? Fragen, die Bauherren, Architekten und Planer im Wohn- und Gewerbebereich gleichermaßen beschäftigen.

 

Erste Pilotprojekte

Bereits vor einem Jahr sorgte eines der Pilotprojekte von „Isocal“ für Aufsehen: die Versorgung des neuen Stuttgarter Stadtarchivs in Bad Cannstatt mit Kühlenergie aus einem unterirdischen Eistank. Ausschlag für die Nutzung eines „SolarEis“-Speichers gaben in Bad Cannstatt zunächst ähnliche Überlegungen, wie sie nun im Schweizer Winterthur angestellt werden. Denn wer Gebäudeflächen umweltfreundlich und wirtschaftlich heizen und kühlen möchte, musste dies bisher mit getrennten Systemen tun. Für die Heizung kommen dabei neben Pelletsheizöfen vor allem herkömmliche Wärmepumpensysteme in Frage, allen voran die Geothermie. Doch gerade diese Lösung hat ihre Tücken: Denn bei der geothermischen Nutzung des Grundwassers ist nicht nur ein aufwendiges Genehmigungsverfahren durch die örtliche Wasserbehörde Pflicht. Die Bohrungen sind zudem teuer und auch mit gewissen Risiken für die Bausubstanz der umliegenden Gebäude verbunden. So zeigten sich etwa im Schwarzwaldstädtchen Staufen nach umfangreichen Erdwärmebohrungen Risse an 256 Häusern – ein Schaden von mehr als 40 Mio. €. Auch in Leonberg bei Stuttgart wurden
24 Häuser nach Erdbohrungen zum Teil schwer beschädigt. Baden-Württemberg untersagte daher solche Tiefbohrungen sogar zeitweise ganz. Diese sind künftig nur noch mit einem besonderen Versicherungsschutz möglich. In Wasserschutzgebieten gilt ohnehin ein deutschlandweites Verbot.

Darüber hinaus ist sowohl bei Neubauten als auch in der Modernisierung Wärmeerzeugung allein nicht immer ausreichend: Moderne Glasfassaden, durch Computeranlagen oder hohe Besucherfrequenzen aufgeheizte Nutzflächen und nicht zuletzt gestiegene Ansprüche an den Wohnkomfort machen zusätzlich eine ausreichende Raumkühlung erforderlich.

 

Latentwärmenutzung

Das „SolarEis“-System aus Friedrichshafen kann beides – heizen und kühlen. Und dies bei geringstmöglicher Umweltbelastung. Dabei ist das Prinzip so einfach wie genial: Wenn Wasser zu Eis gefriert, entsteht sogenannte Kristallisationswärme. Diese kann mithilfe einer Wärmepumpe zur Warmwasserbereitung oder eben zum Heizen genutzt werden. Indem das Eis dabei im Speichertank nicht wie üblich von außen nach innen gefriert, sondern von innen nach außen, wird die natürliche Ausdehnung des Eises beherrschbar und damit eine mögliche Zerstörung der Tankhülle wirksam verhindert. Weitere Komponenten: ein Kollektor, der seine Energie sowohl aus der vorhandenen Lufttemperatur als auch aus der Sonne bezieht. Und eine Wärmepumpe, die das Gebäude mit der nötigen Raumwärme versorgt, die zuvor durch Sonnenenergie, Lufttemperatur oder Erdwärme im „SolarEis“-Speicher „eingelagert“ wurde.

Mit dem „SolarEis“-System kann man jedoch nicht nur im Winter heizen, sondern im Sommer die gespeicherte Kälte auch zum aktiven Kühlen selbst großer Raumflächen verwenden. Der „SolarEis“-Speicher wird damit zur umweltschonenden „Klimaanlage für lau“: Bei Kühlbedarf leitet eine Umwälzpumpe einfach das abgekühlte Heizwasser vom unterirdischen Eistank wohldosiert durch die Heizungsrohre.

Dabei könnte der Energieaufwand nicht geringer ausfallen, denn das Wasser gefriert schließlich – unter geringem Zusatz eines Kältemittels – im Herbst auf natürliche Weise im Erdspeicher und lässt sich das ganze Jahr über nutzen, auch während der Tauperiode. Allein die Umwälzpumpe, die den Kühlkreislauf über die Heizungsleitungen aufrechterhält, benötigt wenige Kilo­watt­stunden Energie pro Jahr. In den Übergangsmonaten lässt sich die Anlage besonders flexibel einsetzen: nachts zum Heizen, tagsüber zum Kühlen.

Ein speziell entwickelter Regler kontrolliert die einzelnen Komponenten: der „SolarEis“-Manager. Damit kann der Nutzer die Anlage bequem steuern, um bedarfsgerecht Kühlung, Raum­wärme oder Warmwasser zu erzeugen. Das funktioniert im Eigen­heim ebenso wie in den Energie­zentralen großer Gebäude.

 

Auf dem Weg zur etablierten Technik

Mittlerweile konnten die Friedrichshafener Spezialisten 250 Eigenheime mit dem neuartigen Heiz- und Kühlsystem ausrüsten. Rund 40 Anlagen befinden sich derzeit bei Privatanwendern im Bau, 500 Installationen sind noch in diesem Jahr geplant. Nicht weniger erfolgreich sieht die Bilanz beim Neubau größerer Wohnanlagen und auch bei Modernisierungsprojekten aus: Im Kölner Stadtteil Porz entsteht gegenwärtig eine sogenannte „Klimaschutzsiedlung“ mit 112 Wohnungen. Schon bald werden hier am Rheinufer insgesamt 7500 m2 Wohnfläche mit dem Eisspeicher-System beheizt oder gekühlt – je nach Bedarf. Das Wasser aus dem 1200 m3 fassenden Eistank lässt sich mithilfe einer Wärmepumpe zum Heizen auf eine Vorlauftemperatur von 32 °C bringen. In den Sommermonaten strömt auf Abruf Kaltwasser über die Wärmetauscher in die Fußbodenheizungen und sorgt für ein angenehmes Raumklima. In Hamburg wird ein Eisspeicher mit 1,5 Mio. l Fassungsvermögen künftig 483 modernisierte Altbauwohnungen beheizen und klimatisieren – es wird das bisher größte eisspeichergestützte Heiz- und Kühlsystem der Welt sein. Ein weiterer Schwerpunkt für die Eisspeicher-Profis von Isocal liegt in Gewerbe- und Nutzbauten wie Unternehmensverwaltungen, Hotels oder öffentlichen Gebäuden. Dazu zählen ein Industriekomplex in Geislingen (Heizleistung 96 kW, Kälte­leistung 60 kW), ein Hotel in Konstanz (Heizleistung 280 kW, Kälteleistung 180 kW), die „Trigema Arena“ auf der Schwäbischen Alb (Heizleistung 80 kW, Kälteleistung 60 kW), eine zum Büroensemble umgebaute Montagehalle im hessischen Viernheim (Heizleistung 80 kW, Kälteleistung 34 kW) und der sogenannte „Elbcampus“ der Hamburger Handwerkskammer. Isocal-Geschäftsführer Heiko Lüdemann erläutert: „Allein die Nutzung der Kühlfunktion bringt bei diesen und ähnlichen Anwendungen eine durchschnittliche Energieersparnis von bis zu 95 % gegenüber konventionellen Klimaanlagen.“

Referenzprojekt Nummer eins bleibt jedoch das Stadtarchiv der Stadt Stuttgart im Heilquellenschutzgebiet von Bad Cannstatt – denn hier lagern empfindliche Materialien bei stets konstantem Raumklima: Exakt 18 °C und 50 % Luftfeuchtigkeit müssen es sein, um den Erhalt der alten Dokumente und Gemälde nicht zu gefährden. Der Sprecher des Stuttgarter Stadtarchivs, Dr. Jürgen Lotterer, zieht nach 20 Monaten Dauerbetrieb eine erste Bilanz: „Das Ziel, etwa 30 % Energiekosten gegenüber der Nutzung einer konventionellen Kli­ma­anlage einzusparen, konnte erreicht werden. Die Anlage läuft störungsfrei.“ Auch der Lei­ter der Abteilung Stadterneue­rung und Bodenordnung bei der Stadtverwaltung Stuttgart, Matthias Bertram, zeigt sich hoch zufrieden mit der Eisspeicher-Lösung: „Wir sind im Stadtarchiv auf eine wasserfreie, also luftgestützte Klimatisierung angewiesen, um mögliche Wasserschäden an den wertvollen Unikaten auszuschließen. Der Stromverbrauch für das Gebäude lag nach unseren Zahlen im ersten Betriebsjahr trotz der intensiven Luftumwälzung sogar 25 000 € unter den ursprünglich geschätzten Verbrauchskosten.“ Matthias Bertram hatte großen Anteil daran, die politischen Entscheidungsträger für das ungewöhnliche Projekt zu begeistern. Jürgen Lotterer berichtet: „Wir sind bisher das einzige Gebäude im deutschen Archivwesen, das mit einem solchen ,SolarEis‘-Speicher ausgerüstet ist. Seit der Inbetriebnahme kommen jedoch viele Kollegen aus anderen Archiven, Museen und Bibliotheken, die sich ebenfalls für diese Lösung interessieren.“ Jürgen Lotterer sieht dabei gerade für Archive besondere Vorteile gegenüber konventionellen Klimamaschinen: „Eine normale Klimaanlage führt stoßweise klimatisierte Umluft in die Räume, damit die voreingestellten Sollwerte für Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit erreicht und gehalten werden können. Der Eisspeicher dagegen liefert eine sehr ausgeglichene Klimatisierung, weil er selbst über ein eher träges und damit konstantes Temperaturniveau verfügt. Es kommt also zu keinen unerwünschten kurzzeitigen Schwankungen, die sich zum Beispiel auf alte Papiere nachteilig auswirken könnten.“


Auf dem Weg zur etablierten Technik

Bei Isocal in Friedrichshafen füllen sich derweil die Auftragsbücher – vor allem seitdem das Unternehmen eine Kooperation mit dem Heizungshersteller Viessmann eingegangen ist. Isocal liefert das Eisspeicher-Know-how – Viessmann steuert Komponenten wie zum Beispiel Wärmepumpen bei, unterstützt den Vertrieb mit seinem weit gespannten Händlernetz und qualifiziert Installateure für den fachgerechten Einbau.

Heiko Lüdemann ist zuversichtlich: „Die Möglichkeiten, die unser Eisspeichersystem bietet, sind damit noch lange nicht aus­geschöpft. Zum Beispiel eignet sich der Eisspeicher, wenn es darum geht, aufgeheizte Module von Photovoltaikanlagen herunterzukühlen und damit die Leistungsfähigkeit und Stromer­träge zu erhöhen. Künftig werden ,SolarEis‘-Speicher auch in Hallenbädern eingesetzt, da damit eine besonders effiziente und wirtschaftliche Entfeuchtung erzielt werden kann. Derzeit bewerben wir uns mit Lösungen, die wir für die Fußball-WM 2022 in Katar bereitstellen wollen.“

 

Fazit

Kein Zweifel also: Die Kombination von Kühl- und Heizanwendungen mithilfe eines umweltfreundlichen Latentwärmespeichers wie dem „SolarEis“-System ist auf dem Weg zur etablierten Technik. Hier verbinden sich Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit auf effiziente Weise. Made in Germany ist immer noch ein Markenzeichen, das in der modernen Gebäudetechnik nicht wegzudenken ist.

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