„Biotest Next Level“ setzt auf CO2 und Propan

Kältezentrale für eine sensible Pharmaproduktion

Die Arzneimittelhersteller Biotest mit Sitz im hessischen Dreieich benötigte für eine Erweiterung der Produktion neue kältetechnische Anlagen. Kundenwunsch war es, dass natürliche Kältemittel zum Einsatz kommen sollten. Insgesamt sollten 100 kW Tiefkühllagerung und 30 kW für Temperierung, Luftschleier und Vorkühlung bereitgestellt werden. Aufgrund des sensiblen Anwendungsbereichs in der Pharmazie müssen am Standort alle Maschinen in 100-prozentiger Redundanz ausgeführt werden.

Biotest ist ein weltweit tätiger Anbieter von Plasmaproteinprodukten und biotherapeutischen Arzneimitteln. Die Produkte kommen vorrangig in den Anwendungsgebieten der Klinischen Immunologie, Hämatologie und Intensivmedizin zum Einsatz. Produktionsstandort und Hauptsitz befinden sich im hessischen Dreieich. Biotest verarbeitet zusammen mit Vertragspartnern pro Jahr bis zu 1,3 Mio. l Blutplasma.

Im Rahmen des Investitionsprojekts „Biotest Next Level“ hat Biotest damit begonnen, die Kapazitäten am Standort Dreieich zu verdoppeln. Das neue Produktionsgebäude, welches von einer eigenen Energiezentrale versorgt wird, wurde nach den neuesten Vorschriften der Energieeinsparverordnung (EnEV 2015) und des Erneuerbaren Energie-Gesetzes errichtet. Biotest wollte hier unter allen Umständen ein umweltfreundliches System im Sinne eines „green building“ nach Eco-Design-Richtlinie installieren.

Generell sollten im Bauvorhaben BNL-Motoren mit der Effizienzklasse IE4 eingesetzt werden sowie Motoren mit Frequenzumrichter, um im späteren Betrieb Stromspitzen zu vermeiden und die Anlage am richtigen Betriebspunkt zu fahren. Zudem sollten nach Möglichkeit natürliche Kältemittel zum Einsatz kommen. Dadurch kann ein langfristiger Betrieb der Kältemaschinen ohne entstehende Einschränkungen durch die F-Gas-Verordnung garantiert werden.

Die Planungsphase

Die Firma KKR Kälte-Klima-Reinraumtechnik GmbH aus Langen (www.kkr-gmbh.de) setzte sich bereits in einem frühen Planungsstadium mit dem Systemlieferanten compact Kältetechnik GmbH aus Dresden (www.compact-kaeltetechnik.de) zusammen und diskutierte gemeinsam verschiedene mögliche Betriebsweisen. Die ersten Planungsideen und Konzepte von compact Kältetechnik gingen in die Richtung des favorisierten Standards als Kaskade mit R134a und CO2, wie bei bereits realisierten Projekten mit ähnlichen Anforderungen. Nach weiterführenden Sondierungsgesprächen zwischen den beteiligten Firmen sowie der Bereitstellung aller Peripheriedaten wurde ein Leistungsverzeichnis erstellt, in dem sich die Anforderungen des Endkunden final abbildeten.

Daraus ergaben sich in weiteren Konzeptschritten von compact Kältetechnik alternative Ansätze wie z.B. eine NH3-Anwendung oder CO2 als Booster bzw. CO2 als Kaskadenlösung in Kombination mit einem Kohlenwasserstoff als Kältemittel. Propan bzw. Propen in der Innenaufstellung wurde in bisherigen Anwendungen von compact Kältetechnik aus Sicherheitsgründen (Brennbarkeit) nicht favorisiert. In diesem konkreten Szenario bei Biotest ergab jedoch die im Vorfeld durchgeführte ausführliche Risikoanalyse eine realistische Machbarkeit zum Einsatz von Propan im System.

Die schlussendliche Entscheidung zur Realisierung fiel auf eine Systemlösung mit einer Aufteilung der Kälteleistung auf jeweils vier Maschinen pro Bauabschnitt in redundanter Ausführung, welches insofern eine Verdopplung der ursprünglichen Einzelmaschinen bedeutete. Die Planung der Rückkühlung sah aus Sicherheitsgründen eine wassergekühlte Maschine vor. Dadurch konnten zum einen geringere Füllmengen in den Anlagen realisiert werden und zum anderen führte dies zu einer Vermeidung von Kältemittel führenden Rohrleitungen durch die Gebäudehülle.

Um die Entwicklung von explosionsfähigen Luft-Gas-Gemischen im Maschinenraum zu verhindern, entschloss sich das Planungsteam jede Einzelmaschine mit einer Lüftungsanlage abzusichern. Zur weiteren Absicherung wurde im Abluftkanal ein Gasdetektor geplant und installiert, der zu einer Maschinenabschaltung bei einem etwaigen Kältemittelaustritt führen würde.

Nachdem die Leistungsermittlung erfolgreich durchgeführt worden war, wurde das Gesamtkonzept betrachtet und geprüft. Für die Beaufschlagung der Luftkühler fiel die Wahl auf das natürliche Kältemittel CO2. Da im gesamten Objekt zusätzlich diverse Kühlungen für Temperatur-Schleusen und Vorkühlräume benötigt wurden, stellte eine Kaskadenlösung mit Sole-Zwischenkreis das ideale technische Ergebnis dar.

Die Umsetzung

Insgesamt vier CO2-Verbundanlagen erzeugen mit Direktexpansion eine Raumtemperatur von -35 °C in den Lagerräumen. Die Kühlung dieser Kaskadenstufen wird mittels Sole von -8 °C gewährleistet. Als Wärmeträger kam im gesamten Projekt „Greenway Neo -25“ zum Einsatz. Zur Soleerzeugung plante man acht Kaltwassersätze ein, die mit dem Kältemittel Propan arbeiten. Die acht Maschinen und die daraus resultierenden acht Einzelkreisläufe ermöglichen kleine Kältemittelfüllmengen je Kreislauf. Da die Propanmaschinen im Gebäude stehen, sind die Kaltwassersätze mit Gehäuse an eine permanent in Betrieb befindliche Abluftanlage angeschlossen und über eine Gaswarnanlage überwacht.

Bei einem Betrieb aller Propan-Kaltwassersätze stehen 308 kW Sole bei -2/-8 °C zur Verfügung und sie kühlen sicher die CO2-Verbunde sowie weitere Kühlstellen dieses Temperaturniveaus. Zwei weitere Propankaltwassersätze versorgen Temperierräume mit Sole auf dem Temperaturniveau von -9/-15 °C. Diese Maschinen sind ebenfalls redundant ausgeführt.

Die gesamte Abwärme der Propan-Kaltwassersätze wird für die Erzeugung von Warmsole zur TK-Verdampfer-Abtauung genutzt und die überschüssige Abwärme wird mittels Wasser-Glykol-Trennkreis an einen Warmsolekreis über bauseitige Rückkühler abgefahren. Um die Wärmeübertragung im gesamten Objekt effizient zu gestalten, wurden zudem diverse Wärmetauscherstationen eingeplant. Für die Realisierung der benötigten Medienvolumenströme und deren Anpassung auf die aktuellen Leistungsdaten im Projektverlauf sind die Pumpenstationen ebenfalls in Zusammenspiel von compact und KKR ausgelegt und geplant worden. Durch die Verschaltung der Maschinen innerhalb des Gebäudekomplexes ergaben sich 34 Pumpenstationen zur Verteilung der Kälteträger.

Einige Besonderheiten gab es auch bei der Einbringung der Anlagen vor Ort. Die Verbundanlagen wurden in das 6. OG über eine Dachluke in ca. 30 m Höhe mit einem 160-Tonnen-Kran eingebracht. Die Verdampfer im Tiefkühllager mit einem Gewicht von ca. 460 kg/Stück wurden auf 10 m Höhe an einem bauseitigen Stahlgestell mittels eines Teleskopmast-Staplers gehängt. Die Rohrleitungsverlegung umfasste ca. 2.800 m CO2- und Kaltsoleleitungen, wobei die Rohrleitungsverlegung in Zwischenräume und Schächte unter erschwerten Montagebedingungen erfolgte. Die Kälte- und Soleanlagen, Pumpen und Pufferspeicher im Maschinenraum wurden auf engstem Raum montiert.

Mess-, Steuer-, Regeltechnik

Die Regelung und Steuerung wurde durch die Firma Comnova ausgeführt. Bei den zu steuernden und regelnden Anlagen handelt es sich um Tiefkühlräume und Normalkältezellen. Die Verbundanlage befindet sich im selben Raum wie die dazugehörige Schaltanlage. Alle Störungen sind quittierpflichtig ausgeführt. Die Störmeldeausgänge für Anlagenstörungen und Personenalarm sind an das Biotest-Störmeldesystem angeschlossen.

Die Regelung der Räume erfolgt über die Raumtemperatur. Die Kältemaschinen verfügen zusätzlich über eine Zeit-Störumschaltung, die über das Display parametriert werden kann. Des Weiteren können die Maschinen in Abhängigkeit des Leistungsbedarfs eingeschaltet und bedarfsgerecht mit Frequenzumformern (FU) drehzahlgeregelt werden. Die Bedienung, Beobachtung und Alarmmeldungen der Anlage erfolgt auf einem Touchpanel.

Für die Anlage gibt es außerhalb und innerhalb der Technikzentrale einen Not-Aus-Taster. Dieser schaltet bei Betätigung die Anlage sofort und komplett ab. Nach der Entriegelung der Taster und einer Quittierung am Schaltschrank wird die Anlage zur Regelung wieder freigegeben. Der Personenalarm kann nur im Plasmalager ausgelöst werden und muss auch dort, zusätzlich zur Quittierung am Schaltschrank, wieder zurückgesetzt werden. Für die Auslösung wird jeweils ein Alarm erzeugt, der auch an die Pforte gemeldet wird.

Die Erzeugung der Kaltsole wird über zwei Propan/Sole-Anlagen abgedeckt. Die Auswahl der Anlagen erfolgt über die Stufen-/Vorrang-Schaltung und über die Zeit-/Stör­umschaltung. Zur Versorgung der Sole-Luftkühler Normalkälte und der CO2-Kaskade wurde ein Pufferspeicher mit Sole „521B200“ (Greenway) geplant. Die Sole wird über die Propan-Verdichter und eine Überhitzungsregelung auf Temperatur gehalten.

Die Leistungsanforderung wird mittels eines PID-Reglers ermittelt. Dieser vergleicht stetig den Ist-Saugdruck mit dem Soll-Saugdruck. Steigt der Ist-Saugdruck über den Soll-Saugdruck, erhöht der PID-Regler seine Anforderung. Über das Leistungssignal werden die Verdichter mit einer Betriebszeit- und Stör­umschaltung freigegeben. Der Verdichter mit der geringsten Laufzeit wird gestartet. Anschließend wird die Drehzahlregelung nach Freigabe des Verdichters aktiviert. Die Drehzahlregelung wird mittels eines PID-Reglers ausgeregelt. Dieser vergleicht stetig den Ist-Saugdruck mit dem Soll-Saugdruck. Die Überhitzung wird ebenfalls mittels eines PID-Reglers ausgeregelt. Bei Aktivierung vergleicht der PID-Regler Soll-Temperatur mit Ist-Temperatur der Überhitzung, wobei die Überhitzungs-Ist-Temperatur rechnerisch ermittelt und nicht direkt gemessen wird.

Die Gesamtanlage wurde erfolgreich in Betrieb genommen und läuft stabil gemäß den geforderten und beschriebenen Leistungsparametern. Die Propananlagen laufen einwandfrei. Nach abgeschlossener Inbetriebnahme laufen die CO2-Anlagen ebenso störungsfrei und die erwarteten Soll-Wert-Temperaturen von -35 °C werden wie geplant erreicht und gehalten.

Das Projekt schaffte es beim Chillventa Award 2018 auf Platz 1 in der Kategorie Gewerbekälte. Auch 2020 wird es wieder einen Chillventa Award geben. Halten Sie schon 2019 Ausschau nach würdigen Projekten, die Sie einreichen können!

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