Ressourcenschonend lüften
Dezentrale Lüftungstechnik im Fraunhofer-Institut in Kassel
Wenn das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik baut, stehen Energieeffizienz und Klimaschutz auf der Prioritätenliste ganz oben. Das gilt natürlich auch für die Lüftungstechnik der Büros – umgesetzt mit dezentralen Fassadenlüftungsgeräten. Die verwendeten Geräte erlauben neben dem bedarfsorientierten und energiesparenden Klimatisieren auch eine flexible, veränderbare Raumnutzung und sind somit eine in doppelter Hinsicht nachhaltige Lösung.
Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik – in diesen Bereichen forscht das Kasseler Fraunhofer-Institut, das in den letzten Jahren stetig gewachsen ist. Damit die mittlerweile 420 Mitarbeitenden besser und in einem Gebäudekomplex arbeiten können, lässt das Institut einen Neubau errichten. Im Sommer 2021 soll er bezogen werden. Die Investition von 60 Mio. Euro teilen sich das Land Hessen und das Bundesforschungsministerium.
Der viergeschossige, von HHS Planer+Architekten (Kassel) entworfene Komplex schafft eine moderne Forschungs- und Entwicklungsumgebung. Rund 7.500 m² Nutzfläche bieten Platz für Büros und Seminarräume, ein Technikum, mehrere Labore sowie die „Leitwarte der Energiewende“. In ihr wird erforscht, wie sich die Energiewende besser gestalten lässt, wie die Energiesysteme Strom, Wärme und Verkehr optimal zusammengeführt werden und welche klimafreundlichen Systemoptionen in Frage kommen.
Die Räume des Technikums und der Bürotrakt werden architektonisch durch eine Dachfigur verbunden.
Energiewende vorleben
Als Investor, der die Energiewende in den Fokus rückt, achtet das Fraunhofer-Institut besonders auf hohe Energieeffizienz und Klimaschutz. „Wir entwickeln Lösungen für die Herausforderungen bei der Transformation der Energiesysteme und setzen diese konsequenterweise auch im neuen Forschungsgebäude um“, betont Institutsleiter Prof. Dr. Clemens Hoffmann.
Bedarfsgerecht heizen, kühlen und lüften
Das von der Enco Energie Consulting GmbH & Co. KG geplante Gebäudetechnikkonzept sieht daher ressourcenschonende Komponenten und einen bedarfsgerechten Einsatz der Energie vor. Wärme und Kälte liefert eine 220-kW-Wärmepumpe in Kombination mit einem 600 m³ großen Eisspeicher. Nur als Reserve oder an extrem kalten Wintertagen wird der Einsatz gasbefeuerter Brennwertthermen erforderlich sein, die sich zu einer 600-kW-Kaskade zusammenfügen. Die Kühlung erfolgt über eine zentral geregelte Betonkerntemperierung, die aus dem Eisspeicher gespeist wird.
Weiterhin wird die Zuluft der dezentralen Lüftungsgeräte (mehr dazu unten) nicht kondensierend gekühlt. Mit dem Regelkonzept wird sichergestellt, dass an Tagen mit einer hohen Tagaußentemperatur und niedrigen Nachtaußentemperatur die Entwärmung des Gebäudes durch den Betrieb der dezentralen Lüftungsgeräte (ohne Kühlung) erfolgt. Bei Nächten mit hohen Außentemperaturen wird die Kühlung eingeschaltet (Betonkerntemperierung). Die Lieferung der Kälte erfolgt aus dem Eisspeicher. Die Optimierung der Regelparameter soll Forschungsgegenstand des IEE werden. Die im Gebäudekern liegenden Besprechungsräume, die Seminarräume im Erdgeschoss sowie die Kantine werden von Zentrallüftungsanlagen mit adiabater Kühlung bedient, die Sanitärbereiche über eine eigene Anlage entlüftet. Die Eingangshalle im Erdgeschoss, die bis zu 600 Personen fassen kann, wird ebenfalls von einer Zentralluftanlage versorgt. Damit diese Anlagen bedarfsgerecht eingesetzt werden können, lassen sie sich regulieren und die Luftmengen mit Hilfe von Kanalstellgliedern lenken. Die Technikzentrale für die zentrale Lüftungs-, Heizungs- und Klimatechnik befindet sich auf dem Dach.
Dezentrale Lüftungsgeräte im Bürobereich
Zum energieeffizienten Luftaustausch in den Büros entschieden sich die Verantwortlichen für eine andere Lösung: dezentrale, im Doppelboden eingebaute Fassadenlüftungsgeräte des Typs „FVPpulse“ von der LTG Aktiengesellschaft. Insgesamt 178 „FVP“-Geräte bedienen die großräumigen Arbeitslandschaften, Ein- und Zwei-Personen-Büros, die Teeküchen sowie die Meeting-Ecken und Think Tanks in Bürotrakt. Von außen sind die Zu- bzw. Abluftöffnungen der Geräte unsichtbar, denn die Fassadenöffnung wird von einer Streckmetallverkleidung verdeckt.
Diese LTG-Fassadenlüftungsgeräte haben gegenüber ihren konventionellen Pendants den Vorzug, dass sie nur eine einzige Fassadenöffnung benötigen, denn sie arbeiten wechselweise im Zu- und Abluftbetrieb. Der Wechsel zwischen „Ein- und Ausatmen“ erfolgt etwa alle 15 bis 20 Sekunden und wird geräuschlos über ein Klappensystem gesteuert. Der Rhythmus lässt sich den Anforderungen entsprechend anpassen, zum Beispiel um die Wirkung der im Gerät integrierten Wärmerückgewinnung im Winterbetrieb zu steigern oder auf unterschiedlichen Winddruck zu reagieren.
Zyklisches Ein- und Ausatmen
Das zyklische Ein- und Ausatmen der Geräte bietet auch Vorteile aus energetischer Sicht, denn im Gerät kann statt zweier separater Luftwege für Zu- und Abluft ein größerer, gemeinsamer Kanal genutzt werden. Das minimiert die internen Druckverluste, sodass der Ventilator mit 14 W Stromaufnahme (bei 90 m³/h) auskommt, bei geringer Teillast deutlich weniger. Zudem kommt eine effiziente Wärmerückgewinnung mit einem Wirkungsgrad von fast 90 % zum Einsatz, die auch an extrem kalten Wintertagen arbeitet, denn sie ist systembedingt frostgeschützt. „Ein entscheidender Pluspunkt“, urteilt Planer Martin Jost von Enco. „Bei anderen Geräten kann die Wärmerückgewinnung an sehr kalten Tagen einfrieren – gerade dann, wenn sie am meisten gebraucht wird.“ Zu verdanken ist der Frostschutz der Wärmerückgewinnung der instationären Betriebsweise. Ein weiterer Vorteil: Sie bewirkt eine hochinduktive, pulsierende Raumströmung und in Folge eine gute Vermischung der Zuluft mit der Raumluft. Dadurch werden Temperaturdifferenzen schnell abgebaut, ohne dass es zu Zuglufterscheinungen kommt. Dies wird von den Raumnutzern als angenehm und sehr natürlich empfunden.
Lüftung mit Leistungsreserven
Die LTG-Geräte stellen im Normalbetrieb bis zu 120 m³/h bereit, können aber auch unidirektional mit bis zu 240 m³/h Luftdurchsatz betrieben werden, beispielsweise um in den Sommernächten möglichst viel kühle Nachtluft durch die Räume zu leiten und den Bedarf an Klimakälte zu verringern. Wo Einzel- und Zweipersonenbüros zu belüften sind, vermeiden Überströmöffnungen einen Über- oder Unterdruck.
Der Einbauort der LTG-Fassadenlüftungsgeräte orientiert sich an der Bürostruktur. Das sorgt nicht alleine für eine hohe mögliche Luftleistung, was insbesondere während der SARS-Covid-19-Pandemie in Verbindung mit den zu öffnenden Fenstern von Vorteil sein kann, sondern schafft auch Flexibilität. Soll zum Beispiel in einer Arbeitslandschaft eine Besprechungsecke abgeteilt werden, ist dies leicht möglich.
Effizienz steht im Vordergrund
Markus Landau, technischer Leiter Gebäudemanagement beim IEE, betont, dass die Kombination aus geringer Stromaufnahme und guter Wärmerückgewinnung bei der Auswahl die entscheidende Rolle spielte. „Die Energieeffizienz war uns sehr wichtig.“ Ein Grund für den energieeffizienten Betrieb ist, dass die Geräte keine langen Lüftungskanäle benötigen, was zudem Platz bzw. Deckenhöhe spart und Druckverluste im Netz prinzipbedingt vermeidet. Der Einbau war problemlos: „Einen Doppelboden hatten wir ohnehin vorgesehen. Die LTG-Geräte sind 21 cm hoch und benötigen eine lichte Höhe im Doppelboden von 18 cm. Sie ließen sich daher leicht integrieren.“
Bedarfslüftung einfach umzusetzen
Landau hebt ein weiteres Merkmal dezentraler Geräte hervor: „Die Luftmengen lassen sich dem Bedarf für jede Zone, sogar jeden Raum genau anpassen.“ Es lässt sich individuell pro Zone festlegen, wie viel Frischluft zugeführt werden soll, womit eine ausreichende „Verdünnung“ der Raumluft sichergestellt werden kann. Somit kann auch eine übermäßige Aerosolbelastung der Raumluft vermieden werden.
Eine solche Bedarfslüftung ließe sich mit einer Zentralanlage nicht so einfach umsetzen. „In unserem Konzept werden die Geräte bedarfsgerecht so betrieben, dass der CO2-Gehalt im Raum einen gewünschten Wert nicht überschreitet. Dies ermöglicht eine gute Luftqualität und einen stromsparenden Betrieb“, sagt Landau. Bei der bereits erfolgten Installation der Geräte im Rohbau zeigte sich die einfache Montage an den vorbereiteten Außenluftanschlüssen. Derzeit lässt das IEE einen Musterraum aufbauen. Dann werden die „FVPpulse“-Geräte auch einen Geräuschtest in realer Umgebung absolvieren können. Für Landau eher eine Formsache: „Wir gehen davon aus, dass die Geräte leise arbeiten werden.“