Swiss Marathon für Ventilatoren

Langzeittest im Berner Oberland

Laborsimulationen können Umwelteinflüsse in der freien Natur nicht vollständig abbilden. Deshalb testet die Ziehl-Abegg SE die Ausdauer und Widerstandsfähigkeit ihrer Ventilatoren unter den extremen klimatischen Bedingungen der Schweizer Alpen. Der Versuch läuft bereits seit drei Jahren – vor Publikum! Die ersten Ventilatoren haben den Dauerlauf bestanden; jetzt startete eine zweite Testreihe mit dem neuen System „ZAplus“, in das bionische Axialventilatoren eingebaut sind.

Ein Rückblick: Schneeschaufel und Hacke gehören nicht zu den klassischen Werkzeugen der Feinmechanik und Elektronik. Am 14. Dezember 2010 jedoch tauschten der Ziehl-Abegg-Konstrukteur Patrick Neumaier und sein Team Mikrometerschraube und Oszillograph gegen eben jene Utensilien, fuhren in die Schweizer Alpen und befreiten bei -20 °C und Starkwind ein Dach von kniehohem Schnee und einer fünfzehn Zentimeter dicken Eisschicht.

Kurze Zeit später kam per Hubschrauber einer der spektakulärsten Testaufbauten der Firmengeschichte angeschwebt. Innerhalb weniger Minuten positionierte der Pilot die fast halbtonnenschwere Konstruktion sicher auf der vorgesehenen Fläche. Die nächste Herausforderung war die Installation der elektronischen Steuerung. Patrick Neumaier: „Klar, dass diese dünnen Kabel nicht mit dicken Fäustlingen angeschlossen werden konnten. Doch die Kollegen haben Ausdauer bewiesen. Auch wenn erst Stunden später die Finger wieder sinnvoll benutzt werden konnten.“

Der Einsatz fand in knapp 3000 m Höhe auf dem Schilthorn statt – berühmt für sein Drehrestaurant „Piz Gloria“ und seine Vergangenheit als Filmkulisse für den Bond-Film „Im Geheimdienst ihrer Majestät“. Willy Bogner doubelte seinerzeit für die legendären Ski-Verfolgungsjagden. Aber was treibt eine Firma mit einem perfekt ausgestatteten Labor und eigens entwickelten Klimakammern in die Schweizer Berge?

Auswilderungs-Projekt für Ventilatoren

Normalerweise wünschen sich Techniker und Wissenschaftler reproduzierbare Parameter, wie sie nur ein Labor bieten kann. Warum macht man dann die Tests im Freiland? Welche Erkenntnisse kann man dort gewinnen, die man im Labor nicht erhalten kann? Patrick Neumaier kennt die Antwort: „Wir führen für jede Neuentwicklung umfangreiche Umweltsimulationen mit reproduzierbaren Parametern in unserem Labor durch. Das ist unter anderem für Umweltprüfungs-Normen unabdingbar. Wir können auch verschiedene Einflüsse kombinieren, wie z.B. Wärme mit Feuchtigkeit.“ Die Erfahrungen am Schilthorn zeigten jedoch, dass sich die Gesamtheit der Umwelteinflüsse in der Realität nur schwer simulieren lässt. Patrick Neumaier erläutert: „Aus unserer mittlerweile dreijährigen Erfahrung wissen wir, dass wir es nicht nur mit Kälte, Regen, Schnee, Hagel und damit mit Vereisung zu tun haben, sondern auch mit sehr hohen Windgeschwindigkeiten. Das erhöht die mechanische Belastung zusätzlich. Mit der Installation am Schilthorn können wir unseren Kunden zeigen, dass unsere Entwicklungen auch im “wirklichen Leben“ gut funktionieren.“ Die Natur erweist sich also wieder einmal als unübertrefflich, ganz davon abgesehen, dass es schon wirtschaftlich problematisch wäre, eine Klimakammer für drei Jahre zu blockieren.

Patrick Neumaier machte sich deshalb auf die Suche nach einem geeigneten Gebiet in einer kalten Klimazone. In solch einem Fall denkt man spontan an Sibirien oder Skandinavien. Aber durch einen Kontakt, den ein aus der Schweiz stammender Kollege hergestellt hatte, rückte diese Region ins Blickfeld. Die freundliche Unterstützung der Schweizer Schilthornbahn AG tat ein Übriges, und so war es im Dezember 2010 soweit – der Testaufbau konnte auf dem Schilthorn (mit 2973 m die höchste Erhebung der Berner Voralpen) installiert werden.

Bei ähnlichen klimatischen Bedingungen bietet es mehrere Vorteile: Im Vergleich zu den anderen genannten Regionen liegt das Schilthorn praktisch vor der Haustür des Firmensitzes in Künzelsau. Und die Arbeitsbedingungen sind exzellent. Bei vielen anderen Standorten bedeutet „Infrastruktur“: Zugang nach Jahreszeit nur eingeschränkt möglich, Anfahrt per Schneemobil oder Hundeschlitten, Strom vom Dieselgenerator, Datenübertragung per Satellitentelefon und zur Verpflegung selbst gebrauter Tee vom Campinggas-Kocher. Das Schilthorn dagegen punktet mit Anfahrt per Seilbahn bis unmittelbar zum Versuchsaufbau, zuverlässiger Stromversorgung, Internetverbindung und gehobener Gastronomie.

Bühnenstar statt Erlkönig: der öffentliche Härtetest

Auch wenn der Hinweis auf die Gastronomie nicht ganz ernst gemeint ist: Die Attraktivität des Standorts, die Besucherströme zu den vielfältigen Pisten und zum Piz Gloria-Drehrestaurant waren bei der Standortwahl kein Störfaktor, sondern von Ziehl-Abegg eingeplant und erwünscht. Viele Freilandversuche laufen unter strikter Geheimhaltung; die Automobilindustrie versucht ihre Prototypen, die „Erlkönige!“, bestmöglich zu tarnen – anders bei Ziehl-Abegg. Der Dauertest der beiden „FE2owlet“-Axialventilatoren, Baugröße 630 mit 116er „ECblue“-Motor (siehe Kastentext) sollte für alle, die dies wollen, nachverfolgbar sein. Dem dient auch ein Link auf der Firmen-Homepage, über den man nicht nur Wissenswertes über den Versuchsaufbau erfährt, sondern auch alle wesentlichen Daten in Echtzeit angezeigt bekommt, d.h. Drehzahl, Motorstrom, Innen- und Außentemperatur sowie die IGBT-Temperatur der Leistungselektronik. Die Online-Verbindung nutzt man bei Ziehl-Abegg auch, um in Echtzeit Statusabfragen, Einstellungsänderungen, Neuprogrammierungen direkt vom Arbeitsplatz (in Künzels­au) aus vorzunehmen.

In freier Wildbahn und öffentlich – aber auch realistisch?

Bei aller Begeisterung über die Symbiose aus Härtetest und Öffentlichkeitsarbeit bleibt die Frage, was der Test über die Alltagstauglichkeit der Geräte aussagt. Dazu Patrick Neumaier: „Die meisten dieser Axialventilatoren werden im Freien eingesetzt und sind jeder Witterung ausgeliefert. Wenn wir die Versuchsbedingen aus dem Blickwinkel der Betriebstunden betrachten, so ist es ein stark komprimierter Test, denn in den gängigen Anwendungen laufen unsere Ventilatoren nicht ständig – und schon gar nicht auf Volllast. In der Praxis gibt es immer wieder Stillstandszeiten. In diesem Fall kommen wir recht schnell auf eine Betriebsstundenzahl, die im „wirklichen Leben“ über mehrere Jahre gesammelt wird.“ Das gilt entsprechend auch für weitere Ziehl-Abegg-Tests, in denen die Ventilatoren z.B. im Schaltbetrieb laufen. Auch hier kommt man in relativ kurzer Zeit auf eine Schalthäufigkeit, die sonst nur über sehr viele Jahre ereicht wird.

Happy End mit Fortsetzung

Nach rund zweieinhalb Jahren haben die ersten beiden „FE2owlets“ das Schilthorn Richtung Künzelsau verlassen. Dort hat man sie auf Funktion getestet und danach komplett zerlegt und ausgewertet. Besondere Aufmerksamkeit galt dem Zustand der Lager, Dichtigkeit, Verschmutzungsgrad und eventuellen Verschleißzuständen oder Korrosion. Das Ergebnis: Der Dauertest hat gezeigt, dass dieser Ventilatortyp einschließlich seiner Elektronik sehr gut mit der Kälte und der Witterung zurecht kommt. Es gab nicht einen Ausfall und die anschließende Untersuchung zeigte einen sehr guten Zustand des Ventilators.

Patrick Neumaier zieht Bilanz: „Ich bin ehrlich, zu Beginn habe ich schon etwas Bauchschmerzen gehabt. Was ist, wenn etwas schief läuft, zumal dieser Dauertest ja in der Öffentlichkeit abläuft. Doch die erste Testreihe – die zweite hat ja erst begonnen – hat unsere Erwartung gerade in Bezug auf Haltbarkeit mehr als erfüllt.“ Die Suche nach Verbesserungen gibt er deswegen aber nicht auf, denn er fährt fort: „Bei der Art des Ergebnisses ist man als Kon­strukteur immer etwas gespalten, was man sich wünschen soll. Zum einen möchte man, dass der Ventilator keine Mängel aufweist, als Beweis dafür, dass man seine Arbeit gut gemacht hat. Auf der anderen Seite möchte man ja schon eventuelle Schwachpunkte aufdecken, um ein Produkt weiter zu verbessern.“

Eine zweite Testreihe, die vermutlich ähnlich umfangreich wird, wurde kürzlich gestartet. Deren Probanden sind die neuen „ZAplus“-Einheiten (siehe Kastentext). Auf den ersten Blick „gewöhnliche“ Ventilatoren; bei näherer Betrachtung kompakte Einheiten aus Ventilator, Motor und Steuerung. Typische Anwendungen sind Supermärkte, Hotels oder die Kältetechnik.

Freilandtests weltweit

Der Versuchsaufbau am Schilthorn ist nicht der einzige Freilandtest von Ziehl-Abegg. Parallel zu dem Schweizer Projekt läuft ein Dauertest in der Türkei, in der Region von Antalya. Weitere Aufbauten in Thailand, Indien und in den USA sind in Planung bzw. schon in der Umsetzung. Last but not least gehören ein großes Testfeld beim Werk Waldenburg sowie ein kleineres Gelände am Stammsitz in Künzelsau zur Ausstattung von Entwicklung und Qualitätssicherung.

Neben den Langzeittests sichern natürlich auch viele Standardprozeduren den Qualitätsanspruch von Ziehl-Abegg. Bevor ein Ventilator oder ein Motor ausgeliefert wird, hat er bereits zahlreiche Teststationen durchlaufen – in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung ebenso wie in den Prüfkammern des eigens dafür errichteten Technologiezentrums „InVent“.

Die Kandidaten

„FE2owlet“

In das Design des Ventilators „FE2owlet“ flossen bionische Erkenntnisse ein. Die Entwicklungsabteilung von Ziehl-Abegg kombinierte erstmals Erkenntnisse aus zwei Wissenschaften: Natur und Aeroakustik. Heraus kam eine völlig neuartige Flügelgeometrie mit Zacken an der Hinterkante und einem Knick am Rand. Dies reduziert die Geräuschentwicklung und verbessert die aerodynamischen Eigenschaften deutlich. Als Vorbild diente die Eule, der Vogel mit den geringsten Fluggeräuschen in der Tierwelt. Dieser Flügeltyp wird im „FE2owlet“ eingesetzt. „Owlet“ steht für owl (Eule) und let (Winglet – Flügelendscheiben).

 
„ZAplus“

„ZAplus“ ist ein Axialventilator in einer kompakten Einheit aus hochfestem Verbundwerkstoff, in die Motor und Steuerung integriert sind. Neben der detailliert abgestimmten Verbindung der Einzelelemente ermöglicht der Verbundwerkstoff neue Formen, welche den Luftstrom gezielt positiv beeinflussen. Da Ziehl-Abegg in der Konstruktion auf neuartige, hochfeste und leichte Materialien setzt, wiegt das „ZAplus-System“ deutlich weniger als viele vergleichbare Systeme. Für Gerätehersteller, die Schalldämpfer oder Textilschläuche installieren, gibt es auf beiden Seiten von „ZAplus“ genormte Anschlüsse (Eurovent-Flansch). Außerdem schützt ein geschlossener Kabelkanal elektrische Leitungen.

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