Abwasser heizt ein
Durchdachtes Energiekonzept mindert CO2-Ausstoß
Auf der Suche nach alternativen Möglichkeiten, Energie bereitzustellen, eröffnen sich immer neue Möglichkeiten. Ein effektiver, wenngleich noch relativ wenig genutzter Bereich, ist die Wärmerückgewinnung aus Abwasser. In Bretten, unweit von Karlsruhe, nutzt man hierfür das Schmutzwasser aus privaten Haushalten und der Industrie. Und deckt so mit der Wärmepumpe einen Großteil der Grundlast ab, um ein Schulzentrum, eine Turnhalle und mehrere Mehrfamilienhäuser zu beheizen.
Jan Butz ist zufrieden, nachdem er sich die fertige Heizzentrale auf einem weitläufigen Gelände unweit des Zentrums der 30 000 Einwohnerstadt Bretten angeschaut hat. Der Projektleiter des Ingenieurbüros für Umwelttechnik, Klinger & Partner, hat sich zwei Jahre lang intensiv mit einem Projekt zur Abwasserwärme-Rückgewinnung in einer Machbarkeitsstudie beschäftigt, bevor die Anlage schließlich gebaut wurde. Ein Teil davon, genau hier, unter seinen Füßen in 4 m Tiefe. „Wir haben hier in Bretten optimale Bedingungen vorgefunden“, sagt Butz, der an der Uni Karlsruhe am Institut für Wasser und Gewässerentwicklung auf dem Gebiet der Abwassertechnik promoviert hat. Optimale Bedingungen heißt konkret: Es sind sowohl kontinuierlich vorhandene (relative) Wärme aus Abwasser vorhanden als auch die nötigen Abnehmer für diese Wärmeenergie. Das Medium Abwasser sei für den effektiven Betrieb mit einer Wärmepumpe optimal, sagt Butz. „Abwasser hat den Vorteil, dass es – im Vergleich zu anderen Wärmeträgern – relativ konstant in der Temperatur ist.“ Das Abwasser der Brettener Anlage hat im Sommer eine Temperatur von 10 bis 16° C, im Winter zwischen 8 und 12° C. Sie ist eine der wenigen Anlagen bundesweit. In Baden-Württemberg gibt es nur zwei in dieser Größenordnung.
Prinzip Energierecycling
Diese Form der Energiegewinnung funktioniert im Prinzip wie anderes Energierecycling auch, nur die Standortfrage für die Aufstellung der Technikzentrale und die Lage der Wärmeabnehmer ist schwieriger. In Bretten fließt das Schmutzwasser aus elf Teilorten in fünf Abwassersträngen in einem großen unterirdisch (schon vorhandenen) Regenüberlaufbecken zusammen. Bevor im Durchschnitt 50 bis 70 l noch ungeklärtes Abwasser pro Sekunde in Richtung Kläranlage entlassen werden, wird der Wärmeträger Wasser in überdimensionalen betonierten Schlangen über Wärmetauscher aus Edelstahl geführt. 102 dieser trapezförmigen 1 m langen Teile sind an der Sohle des Abwasserkanals angebracht. Sie sorgen dafür, dass dem Abwasser Wärme entzogen und über einen Zwischenkreislauf (mit normalem unbehandeltem Wasser in Kunststoffrohren) der Heizzentrale übergeben wird. Dort wird mit Hilfe einer Wärmepumpe (WP – Wasser/Wasser) dem warmen Wasser die Wärme entzogen und es werden zwei 5000 l fassende Pufferspeicher erhitzt. Die Wärmepumpe der Firma Heidinger GmbH aus Mühlacker hat dabei eine Heizleistung von 155 kW. 34,5 kg des Kältemittels R134a sorgen dabei für eine Vorlauftemperatur von 49 bis 55 °C. Eine Temperatur von 65 °C ist möglich, allerdings sinkt dann die Arbeitszahl. Der Hersteller gibt eine Arbeitszahl von 3,54 bei einer Vorlauftemperatur von 55 °C an.
Wärmeabnehmer gesucht
Für den Bau der Anlage in Bretten mussten, neben der Mindestmenge an Abwasser, auch Wärmeabnehmer gefunden werden. „Abwasser gibt es meist genug, allerdings stehen in unmittelbarer Nähe oft keine Bauten, die für eine Abnahme unserer Wärme geeignet sind“, erläutert Jan Butz die Problematik in der Projektierungsphase einer Anlage. Wärme wird im Fall der Abwasserwärmerückgewinnung aber immer bereit gestellt – vor allem im Sommer, denn da hat das Wasser eine höhere Temperatur und kann somit mehr Wärme abgeben. „Ein Schwimmbad in unmittelbarer Nähe der Technikzentrale ist ideal, die brauchen immer Wärme“, ergänzt Wolfgang Schuler vom Ingenieurbüro Schuler aus Bietigheim-Bissingen die Bedeutung der umgebenden Wärmeabnehmer. „Der Standort entscheidet unter anderem über die Wirtschaftlichkeit einer solcher Anlage“, sagt Schuler, der mit seinem Ingenieurbüro das Heizungssystem projektiert hat. Ein Schwimmbad in direkter Nähe gab es nicht, allerdings wurde trotzdem eine befriedigende Lösung gefunden. Nun sind ein Schulzentrum, eine Sporthalle und 13 Mehrfamilienhäuser an das Netz angeschlossen.
In vielen Fällen scheitert die Technik gerade an diesen Rahmenbedingungen. Sind die Wärmeabnehmer nicht in der Nähe eines geeigneten Abwasserkanals, fallen höhere Kosten für Leitungen und Pumpbetrieb an. Zudem summieren sich die Wärmeverluste bei langen Leitungen – ein nicht zu unterschätzender Faktor, der über die Wirtschaftlichkeit entscheiden kann. Die gedämmten Wärmeleitungen (Gesamtlänge von rund 1500 m) wurden hier in offener Verlegung und im Spülrohrverfahren verlegt.
Wunsch nach regenerativer Wärme
Anstoß für das Gesamtprojekt gab übrigens der Wunsch der ortsansässigen Harsch Bau GmbH, einen geplanten Neubau mit regenerativer Wärme zu beheizen. Da der Neubau nur einen Bruchteil der Wärme benötigt, die produziert wird, wurde auch der Schulkomplex in die Gesamtberechnung miteinbezogen. Den Kosten von 1,1 Mio. € für den Bau der Technikzentrale, für die Wärmepumpe, eines Blockheizkraftwerks (zur Abdeckung der restlichen Grundlast) und eines Gaskessels (zur Abdeckung der Spitzenlast) stehen nun Einsparungen von 54 700 l Heizöl jährlich gegenüber, das entspricht rund 32 000 € bei einem Heizölpreis von 60 Cent pro Liter. „Nach heutigem Stand der Preise und dem Einbeziehen von Abschreibungskosten amortisiert sich die Anlage in 15 bis 20 Jahren“, rechnet Günter Eberl von den Stadtwerken Bretten vor. „Wir sparen mit diesem System 8000 € im Jahr im Vergleich zu einer konventionellen Lösung mit Einzelanlagen.“ Ganz davon abgesehen ist auch der Nutzen für die Umwelt enorm. Die CO2-Einsparung beziffert Eberl auf rund 129 t CO2. Ein Wert, der dem jährlichen Stromverbrauch von über 50 Dreifamilienhaushalten entspricht. Die Kosten tragen die Stadtwerke Bretten, Zuschüsse vom Land und der EU mindern die Ausgaben um 8 %.
Niedertemperatur-Heizsystem
Die Grundlast übernimmt im Betrieb die Wärmepumpe und das gasbetriebene BHKW. Zusammen erreichen sie rund 260 kW. Mit der elektrischen Leistung des BHKW (50 kW) wird u.a. die Wärmepumpe betrieben, der Rest wird ins Netz eingespeist. In den Sommermonaten, beim geringsten Wärmeverbrauch, wird nur die Wärmepumpe betrieben und bezieht den Strom aus dem Netz. Ein gasbetriebener Heizkessel deckt vor allem in den Wintermonaten die Spitzenlast ab. Um die Energieeffizienz zu erhöhen und die Wärmepumpe möglichst nur im Niedertemperaturbereich zu betreiben, werden derzeit alle Gebäude auf Niedertemperatur-Heizsysteme umgerüstet. Diese Sanierungsmaßnahmen waren die Grundvoraussetzungen, um die langfristig kalkulierte Wirtschaftlichkeit zu erreichen.
„Das ist die modernste Anlage in Baden-Württemberg sein, wenn nicht sogar in Deutschland“, sagt Jan Butz. Weitere Anlagen sind bereits in Planung, u.a. im Terrot-Areal in Stuttgart. Und auch die Anlage in Bretten kann nochmals erweitert werden. Rund 60 m Kanallänge stehen noch zur Verfügung. Nur ein Abnehmer für die erzeugte Wärme muss dann noch gefunden werden.