Energieflexibilisierung im Supermarkt
Temporäre Speicherung thermischer Energie –
Konzepte für Supermarktkälteanlagen
Der Ausbau erneuerbarer Energien im Zuge der Energiewende führt zu einer erhöhten Fluktuation der Stromerzeugung mit entsprechenden Auswirkungen auf die Stabilität des Stromnetzes und den Bedarf an Spitzenlastkraftwerken. Supermärkte sind in Deutschland für einen jährlichen Strombedarf von rund 16 TWh verantwortlich, rund die Hälfte davon wird für die Kältebereitstellung benötigt. Eine Flexibilisierung des Strombedarfs der Supermarktkälteanlagen könnte somit einen relevanten Beitrag zur Stromnetzstabilisierung leisten [11]. Im Rahmen des öffentlich geförderten Projektes flexess entwickelt die TLK-Thermo GmbH Simulationsmodelle und führt Studien durch, in denen die Energieflexibilisierung von thermischen Systemen wie Kälteanlagen und Wärmepumpen untersucht wird.
Grundlagen, Modelle und Ziele
Eine wesentliche Idee der Lastflexibilisierung von Kälteanlagen basiert darauf, dass thermische Energie in den Kühlmöbeln und Kühlräumen auf einem niedrigen Temperaturniveau temporär gespeichert wird (z.B. [5,9]). In den hier vorgestellten Konzepten für Supermarktkälteanlagen werden dafür einerseits die Wärmekapazität der gekühlten Ware und andererseits Eisspeicher verwendet. Durch die Speicherung können die Kälteerzeugung und damit die elektrische Leistungsaufnahme zeitlich verschoben werden [3].
TLK hat langjährige Erfahrung in der Modellierung und Simulation von komplexen thermischen Systemen. Die eigene Modellbibliothek TIL umfasst Komponenten zur Modellierung und Simulation unterschiedlicher thermischer Systeme, wie bspw. automobile Kältekreisläufe, Wärmepumpen, Industriekälteanlagen oder Supermärkte. Die integrierte Stoffdatenbibliothek TILMedia ermöglicht die Berechnung von thermophysikalischen Größen für eine Vielzahl von Kältemitteln, Flüssigkeiten oder Gasgemischen. Die TIL-Bibliothek hat große Verbreitung in der Industrie und Forschung und bietet Add-ons für Warmwasserspeicher, Phasenwechsel-Speicher, NTU-basierte Wärmeübertrager sowie (Flüssig-)Wasserstoff-Systeme.
Im Rahmen des flexess Projektes wird ein typischer Supermarkt [2] als Untersuchungsgegenstand betrachtet. Dieser verfügt über 14 Normalkühlregale (NK-Regal), 5 Tiefkühlregale (TK-Regal) sowie 4 Tiefkühltruhen (TK-Truhe), die mit einer zweistufigen R744 Kälteanlage mit Flashgas-Bypass und internem Wärmeübertrager verbunden sind (siehe Abbildung 1). Dieser Supermarkt wurde mithilfe der TIL-Bibliothek als dynamisches Simulationsmodell erstellt, welches eine Vielzahl von physikalischen Effekten berücksichtigt.
Die Kühlmöbelmodelle bilden verschiedene Wärmeeintragsmechanismen wie Wärmeleitung über die Wand, Luftinfiltration sowie die internen Quellen Beleuchtung und Ventilatoren ab. Sowohl die thermische Masse des Kühlmöbels selber als auch die der Waren finden in der Energiebilanz Berücksichtigung. Das elektronische Expansionsventil, der Verdampfer und der Kühlstellenregler werden abgebildet. Dieses Modell erlaubt die sekundengenaue Abbildung des dynamischen Verlaufs der Waren- und Lufttemperaturen im Möbel in Abhängigkeit von Verkaufsraumtemperatur, Verdampfungsdruck des Kältemittels und jeder einzelnen Türöffnung. Neben den Kühlmöbeln werden auch die einzelnen Verdichter und ihre Regelung, das Hochdruck- und Flashgas-Bypassventil, der Gaskühler, sowie die Hochdruckregelung abgebildet.
Dieses Systemmodell ermöglicht die Berechnung aller relevanten Größen jedes einzelnen Kühlmöbels sowie des Kältekreislaufes. Durch den objektorientierten Aufbau ist es in Zukunft auch möglich, andere Konzepte wie bspw. Kälteanlagen mit Parallelverdichtern oder Ejektoren zu untersuchen. Die Auswertung der Simulationsergebnisse erfolgt mit der von TLK entwickelten Visualisierungssoftware DaVE (Abbildung 1).
Die grundlegenden Ideen der Smart-Grid-Integration von Kälteanlagen bzw. Supermärkten wurden bereits in der Literatur beschrieben [6,11,12,13], ebenso wie eine Analyse der regelungstechnischen Herausforderungen der Energiespeicherung für einzelne Lebensmittel [7].
Eine Untersuchung, die sowohl alle einzelnen Kühlmöbel in detaillierter Form als auch die Verbundkälteanlage inklusive der Regelungstechnik berücksichtigt, ist in dieser Form bisher noch nicht durchgeführt worden. Dieser Beitrag stellt zwei Maßnahmen zur Lastreduktion vor, ordnet sie hinsichtlich der technischen Herausforderungen ein und bewertet sie exemplarisch anhand von Kennzahlen.
Gekühlte Waren als Speicher
Eine erste Maßnahme zur Reduktion der elektrischen Leistungsaufnahme besteht darin, die Kälteversorgung eines oder mehrerer Kühlmöbel durch Schließen der Expansionsventile zu unterbrechen. Dadurch werden einerseits der von den Verdichtern zu fördernde Kältemittelmassenstrom und somit auch die Leistungsaufnahme reduziert [3,11,12]. Andererseits wird dem Kühlmöbel durch den Verdampfer keine Wärme mehr entzogen, sodass zunächst die Lufttemperatur im Kühlmöbel und etwas verzögert auch die Temperaturen der im Möbel gelagerten Waren steigen. (Anmerkung: Das Abschalten der Kälteversorgung wird im Folgenden auch als „Entladen der Speicher“ bezeichnet.) Wie schnell diese ansteigen, hängt von den Randbedingungen wie Verkaufsraumtemperatur und Häufigkeit der Kühlmöbeltüröffnungen, von der Bauart und Wärmekapazität des Möbels an sich, aber auch von der Menge und Art des Kühlgutes sowie seinem Wärmeübergang zur Luft ab [7,12]. Die Dauer dieser Maßnahme ist durch einen oberen Temperaturgrenzwert eingeschränkt. Sobald er erreicht ist, muss das Expansionsventil wieder geöffnet und die Kälteversorgung hergestellt werden, um die Warensicherheit zu gewährleisten.
Die Dauer dieser Flexibilisierungsmaßnahme kann erhöht werden, indem die Waren „vorgekühlt“ werden. Das bedeutet, dass im Vorfeld einer Lastreduktion die Temperatursollwerte der Möbel gesenkt und die Waren unter ihre normale Lagerungstemperatur abgekühlt werden. Bei Unterbrechung der Kälteversorgung wird so die Zeitdauer verlängert, bis der obere Temperaturgrenzwert erreicht wird.
Aus Simulationsberechnungen einzelner NK-Regale folgt, dass die mögliche Abschaltdauer im Bereich von 1-5 min liegt, was sich mit Literaturdaten deckt [12]. Die Betrachtung dieser Maßnahme im Kontext der gesamten R744-Kälteanlage zeigt einige Herausforderungen auf. Das Schließen des Expansionsventils eines oder mehrerer NK-Regale hat Auswirkungen auf den Saugdruck der NK-Verdichter und somit auf deren Regelung und kann zu unerwünschten Schwingungen führen. Im Extremfall kann dies dazu führen, dass keine nennenswerte Reduktion der elektrischen Leistungsaufnahme erzielt wird. Die kontinuierliche Änderung der Menge an gekühlten Waren durch Abverkauf und Nachfüllen erschwert die Vorhersage des Temperaturverlaufs und somit die Regelung.
Bei der Vorkühlung der Waren durch Absenkung des Temperatursollwertes besteht ein grundsätzliches Problem darin, dass aufgrund der höheren Temperaturdifferenz zum Verkaufsraum, der Wärmeeintrag in die Möbel und somit auch der Strombedarf der Verdichter steigen. Eine Lastreduktion würde einen vorherigen erhöhten Strombedarf notwendig machen. Inwiefern ein „Vorkühlen“ der Waren eine effektive Maßnahme zur Lasterhöhung bei überschüssigem, erneuerbar produziertem Strom ist, soll zukünftig untersucht werden.
Eisspeicher im Kühlmöbel
Eine Integration kalter thermischer Energiespeicher in eine Kälteanlage ermöglicht neben einer Lastflexibilisierung prinzipiell auch eine Effizienzsteigerung sowie eine optimierte Dimensionierung von Komponenten [1,6].
Eine der vielversprechendsten Varianten ist der Einbau eines Eisspeichers in NK-Regale. Der Eisspeicher besteht im Wesentlichen aus einem Wasserbehälter mit integriertem Verdampfer. Während des Ladevorgangs entzieht dieser dem Wasser Wärme, sodass sich Eis bildet; dies erhöht die Kälteleistung und somit die Leistungsaufnahme der Verdichter (siehe Abbildung 2). Während des Entladens wird die warme Rückluft des Kühlmöbels vom Gebläse am Eisspeicher vorbei geführt, abgekühlt und als kalte Zuluft dem Möbel wieder zugeführt. Der reguläre Kühlmöbelverdampfer kann durch Schließen des Expansionsventils abgeschaltet und somit die benötigte Verdichterleistung reduziert werden (Abbildung 2).
Diese Art von Speichern ist in der Praxis nicht verbreitet, sie befindet sich aktuell noch in der Erforschung [8,10]. Auch diese Art von Speicherung birgt Herausforderungen: Ein durch das Design limitierter Wärmeübergang zwischen Speichermedium und Kältemittel müsste bspw. durch geeignete Betriebsweisen wie die Absenkung der Verdampfungstemperatur kompensiert werden. Für Untersuchungen dieser Art sind die Modelle aus dem TIL-Add-on für Speicher mit Phasenwechselmedium bereits in Verwendung [4].
Betriebsstrategie und Bewertung
Um die Maßnahmen der Lastreduktion zu bewerten, werden hier zwei Kennzahlen verwendet: der Betrag der Reduktion der elektrischen Leistungsaufnahme ∆Pel,reduktionund deren Dauer ∆treduktion (Abbildung 2). Neben der Auswahl eines geeigneten thermischen Speichers (gekühlte Waren oder Eisspeicher) spielt insbesondere die Betriebsstrategie eine entscheidende Rolle für die Flexibilitätserbringung. Werden die einzelnen Kühlmöbel nacheinander entladen, ist der Betrag der Lastreduktion vergleichsweise gering, die Dauer jedoch sehr hoch (Strategie A, Abbildung 3). Werden die Möbel gruppenweise nacheinander entladen (Strategie B und C), erhöht sich der Betrag der Lastreduktion, aber die Dauer verringert sich. Den Extremfall stellt das gleichzeitige Entladen aller Speicher dar (Strategie D). Dies ermöglicht die größte Lastreduktion, ist aber auch nur von kurzer Dauer.
Abbildung 3 stellt die Ergebnisse der eben beschriebenen Betriebsstrategien für drei Fälle dar: 1. Verwendung der gekühlten Waren als Speicher, 2. Eisspeicher mit 5 l Volumen pro NK-Regal, 3. Eispeicher mit 12 l Volumen. Das grundsätzliche Verhalten von einer sinkenden Dauer bei steigendem Betrag der Lastreduktion lässt sich für alle drei Fälle erkennen. Einige technische Grenzen dieser Betriebsstrategien werden bei der Simulation des Gesamtsystems deutlich: Wenn in den NK-Regalen sehr viele Speicher gleichzeitig entladen werden (z. B. Strategie D) und die TK-Möbel und somit auch die TK-Verdichter normal weiter betrieben werden, erhöht sich die Kältemitteltemperatur am Eintritt des NK-Verdichters und die zulässigen Verdichtungstemperaturen können überschritten werden.
Hinsichtlich der hier beschriebenen Maßnahmen scheint die Verwendung der gekühlten Waren als thermischer Speicher als wenig geeignet für eine Lastreduktion. Gründe sind die Unwägbarkeiten hinsichtlich der Masse des vorhandenen Kühlgutes, der regelungstechnischen Herausforderungen, der eher geringen Dauer sowie einem potentiell erhöhten Strombedarf. Eisspeicher in Kühlmöbeln haben ein merkliches Potential hinsichtlich Dauer und Betrag einer Lastreduktion, stellen jedoch noch Herausforderungen an das Speicherdesign sowie geeigneter Betriebs- und Regelungsstrategien.
Bei der Entwicklung dieser Strategien sowie der Quantifizierung des Potentials ist die Abhängigkeit von den Randbedingungen wie Verkaufsraum- und Umgebungstemperatur sowie Kundenaufkommen zu beachten. Der Einfluss dieser Faktoren ist mit den Simulationsmodellen möglich und soll im Rahmen des flexess Projektes weiter untersucht werden.
Zusammenfassung
Im Rahmen des Projektes flexess untersucht TLK die Möglichkeiten der Flexibilitätserbringung in thermischen Systemen. Dazu wurde mit vorhandenen Modellbibliotheken ein detailliertes, dynamisches Simulationsmodell eines Supermarktes erstellt. Dieses kann die Temperaturen von Luft und gekühlten Waren im Kühlmöbel, aber auch alle relevanten regelungstechnischen Größen wie wie bspw. Verdichterdrehzahlen in sekundengenauer Auflösung berechnen. Das Modell wird genutzt, um das Potential der Energieflexibilisierung von Supermärkten zu untersuchen, die technischen Herausforderungen zu identifizieren und geeignete Lösungsvorschläge zu erarbeiten.
Danksagung
Die TLK-Thermo GmbH dankt dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz für die Förderung im Rahmen des Projektes flexess (Förderkennzeichen 03EI4005D).
Literatur
[1] N. Fidorra, S. Minetto, A. Hafner, K. Banasiak und J. Köhler: “Analysis of Cold Thermal Energy Storage Concepts in CO2 Refrigeration Systems“. 12th IIR Gustav Lorentzen Natural Working Fluids Conference (Edingburgh), 2016
[2] N. Fidorra: “Physical Modelling of the Interactions between Thermal Systems in Supermarkets”. Dissertation. Braunschweig, TU Braunschweig, 2021
[3] N. Fidorra, J. Kistner und W. Tegethoff: „Energieflexibilisierung im Supermarkt“. DKV Jahrestagung (Dresden), 2021
[4] S. Försterling, H. Selvnes und A. Sevault: „Validation of a Modelica numerical model for pillow plate heat exchangers using phase change material”. 15th IIR Gustav Lorentzen Natural Working Fluids Conference (Trondheim), 2022
[5] M. Grozdek: “Load shifting and storage of Cooling energy through ice bank or ice slurry systems”. Dissertation. Stockholm, Royal Institute of Technology , 2009
[6] C. Heerup und T. Green: “LOAD SHIFTING BY ICE STORAGE IN RETAIL CO2 SYSTEMS”. 11th IIR Gustav Lorentzen Conference on Natural Refrigerants (Hangzhou). 2014
[7] T. G. Hovgaard, L. F. S. Larsen, M. J. Skovrup und J. B. Jørgensen: „Analyzing control challenges for thermal energy storage in foodstuffs“. 2012 IEEE International Conference on Control Applications, 2012, pp. 956-961
[8] M. Jokiel, A. Sevault, K. Banasiak und E. NÆSS: “Cold storage using phase change material in refrigerated display cabinets: experimental investigation”. The 25th International Congress of Refrigeration (Montreal), 2021
[9] M. Kauffeld und K. Rühling:. „Energetic Benefit of Latent Cold Thermal Energy Storage”. 10th IIR Gustav Lorentzen Conference on Natural Refrigerants (Delft). 2008
[10] R. Manescu, A. Hafner, N. Fidorra, S. Försterling und J. Köhler: “A NEW APPROACH FOR COLD THERMAL ENERGY STORAGES IN SUPERMARKET REFRIGERATION“. 7th Conference on Ammonia and CO2 Refrigeration Technology (Ohrid, North Macedonia), 2017
[11] T. Månsson und Y. Ostermeyer: “Potential of Supermarket Refrigeration Systems for Grid Balancing by Demand Response”. Proceedings of the 8th International Conference on Smart Cities and Green ICT Systems, 2019: 151-156
[12] T. Månsson: “Supermarket refrigeration system for demand response in smart grids”. Dissertation. Göteborg, Chalmers University of Technology, 2020
[13] J. Waschull, R. Müller, W. Hernschier, R. Künanz: “Cold Storage Devices for Smart Grid Integration” Energy Procedia, 46 (2014), 48-57