Gewerbekälte im Zeichen des Klimaschutzes
7. ZVKKW Supermarkt-Symposium mit dem Blick über den Tellerrand
Einen Rekordbesuch von 131 Zuhörern verbuchte das 7. Supermarkt-Symposium des Zentralverbandes Kälte Klima Wärmepumpen (ZVKKW) in Darmstadt. Vor allem der breite Teilnehmerquerschnitt über viele Bereiche der Wertschöpfungskette von Architektur und Planung über Ausführung und Anlagenbau bis hin zum Betrieb von Supermärkten fiel auf. Bei den Themen stachen zukunftsfähige Kältemittellösungen hervor.
Die „Gewerbekälte im Zeichen der Klimaschutzziele“, so lautete der diesjährige Titel des ZVKKW-Supermarkt-Symposiums am 21. April 2016 in der Wissenschaftsstadt Darmstadt. Das Programm der siebten Auflage sprach neben dem Kälteanlagenbau auch zahlreiche Marktbetreiber, Planungsbüros, Passivhaus-Experten oder Vertreter der Politik und Lobbyarbeit an. Eine Mischung, die in den zurückliegenden Jahren immer etwas kältelastig ausfiel – nicht so in diesem Jahr.
Gewerbekälte gleich Supermarkt
Dem Titel entsprechend lag der Gewerbekältefokus aller zwölf Vortragenden ausschließlich bei der Betrachtung von Supermärkten. Dass hier besonders große Potentiale zum Klimaschutz schlummern, verdeutlichte gleich zu Anfang Benjamin Chini. Er präsentierte den „Energie-Monitor 2015“, eine regelmäßige Erhebung des EHI Retail Instituts, Köln, über Energieeffizienzmaßnahmen im Einzelhandel (Die Studie „Energie-Monitor 2015“ kann über das EHI Retail Institute in Köln bezogen werden). Und fast wie in Stein gemeißelt ist seit Jahren ein Wert für den Food-Sektor: 45 % des Stromverbrauchs pro Quadratmeter Verkaufsfläche und Jahr entfallen auf die Kältetechnik – den mit Abstand größten Energiekostentreiber, gefolgt von der Beleuchtung (26 %) und der Klimatechnik (17 %). Die gute Nachricht: Trotz Flächenzuwachs, längeren Öffnungszeiten und neuen Ladenkonzepten konnten die durchschnittlichen Energieverbräuche der gesamten Handelsbranche innerhalb der letzten fünf Jahre um 15 % gesenkt werden.
Der Lebensmittelsektor lag bei der Stromverbrauchsredzierung in besonders guten Märkten bei 30 % und durch Spar- oder Wärmerückgewinnungsmaßnahmen beim Wärmeverbrauch sogar um bis zu 50 % besser. Die Gründe dafür sind eine immer größere Verbreitung geschlossener Kühlmöbel (dazu passend präsentierte Carrier in Darmstadt eine Studie zur Optimierung von Kühlregalen der Temperaturklasse M0), Konzepte zur Verflüssigungs-/Wärmerückgewinnung (also einer Kopplung der Gewerke Kälte, Klima, Lüftung, Heizung), der Einsatz von Gebäudeleittechnik (zur optimierten Regelung von Klima-, Lüftungs- bzw. Heiztechnik) und vor allem ein immer feineres Energie-Monitoring zur Schaffung von Energieverbrauchstransparenz an möglichst vielen Verbrauchsstellen. Bei diesem letzten Punkt sieht das EHI noch sehr große Potentiale für die Kältetechnik. Prävention durch Fernüberwachung lautet der Schlüssel, um schleichende Mehrverbräuche wegen beispielsweise unnötig offen stehender Kühlraumtüren, verschmutzten Wärmeübertragerflächen oder anderer außergewöhnlicher Ereignisse schnell und nachprüfbar zu beheben.
Ganzheitlicher Ansatz
Die folgende Binsenweisheit des Autors darf dann für eine Reihe weiterer Vorträge gelten:
„Die am effizientesten eingesetzte Energie ist diejenige, die erst gar nicht benötigt wird!“
Wird nämlich der gesamte Supermarkt inklusive der Anlagentechnik schon von architektonischer und planerischer Seite als zweckgebundene Einheit verstanden, kann der Bedarf an Energie tatsächlich auf ein Minimum reduziert oder sogar Energie gewonnen werden. Eine Reihe von Passivhaus-Supermärkten der Handelsketten REWE, Edeka und Netto verfolgen diesen Ansatz in Niedersachsen. Matthias Wohlfahrt von proKlima – Der enercity-Fonds begleitet diese Passivhaus- bzw. DGNB-zertifizierten Märkte und lieferte auf dem Symposium einen interessanten Blick über den Tellerrand. Sein Fazit zeigte, dass die Kälte-Klima-Lüftungs- bzw. Heiztechnik nicht am Ende, sondern am Anfang einer Marktplanung stehen müssen, um alle Potentiale zu heben. Passivhauskriterien sind dann auch bei einem Supermarkt erfüllbar, der in seiner Nutzung aber wesentlich komplexer als ein Wohnhaus oder Bürogebäude zu betrachten ist.
Zwei weitere Supermarkt-Zertifikate stellten Katja Becken vom Umweltbundesamt und Nicolas Fidorra von der TU Braunschweig vor. Das Erste war der „Blaue Engel“, mit dem vor zwei Jahren die tegut-Filiale in Marburg-Cappel und damit erstmals ein Supermarkt ausgezeichnet wurde. Die Vergabegrundlagen gemäß RAL-UZ179 sind recht vielschichtig und umfassen verbindliche sowie optionale Anforderungen. Bei der Kälteanlage muss beispielsweise die Energieeffizienz um 15 bzw. 35 % (verglichen zu Bestandsanlagen) verbessert werden, je nachdem ob es sich um eine Alt- oder Neuanlage handelt. Eine Wärmerückgewinnung ist zwingend vorgeschrieben und im Kälteverbund sind nur natürliche Kältemittel zugelassen. In den nächsten Wochen soll eine bundesweite Werbekampagne dafür sorgen, dass der Blaue Engel für Supermärkte stark an Beachtung gewinnen und damit auch Nachfrage bei Konsumenten erzeugen wird, so Katja Becken.
Ein weiteres Zertifikat befindet sich derzeit noch in der Entwicklung. Das neue EU-Ecolabel soll für den Abbau nichttechnischer Hürden sorgen, um die Effizienz von Supermärkten zu erhöhen. Nicolas Fidorra beschrieb die bis 2019 dauernde Planungsphase und rief zur Mitarbeit für dieses europäische Projekt auf. Nähere Details zu besprechen wäre zum jetzigen Zeitpunkt aber noch verfrüht (Informationen zum EU-Ecolabel für Supermärkte sind unter www.supersmart-supermarkt.info erhältlich.).
Über die Möglichkeit, Energie sogar zu verkaufen, berichtete Jörg Saar für die Danfoss GmbH, Offenbach. Denn wo mechanisch gekühlt wird, fällt zwangsläufig immer Abwärme an. In Skandinavien sucht man für diese überschüssige und nicht selbst genutzte Abwärme nach Abnehmern, was die CO2-Bilanz eines Supermarktes verbessern kann. So wird in Norwegen nach einem Umbau der Kälteanlage beispielsweise der gesamte Parkplatz eines Rema 1000-Marktes während mehrerer Monate des Jahres mit Abwärme enteist. Dafür erfolgten der Einbau eines Wärmespeichers sowie eine neue Erdreich-Wärmepumpe an Stelle einer Gastherme. Noch einen Schritt weiter geht ein SuperBrugsen-Markt in Dänemark. Dort werden Kälte und Wärme aus der Kälteanlage und der Wärmepumpe zur weiteren Verwendung in zwei großen Tanks zwischengespeichert. Damit können günstige Strompreise ausgenutzt – ein echtes Beispiel für „Power to Cold and Heat“ – oder Anlagen-COPs verbessert werden. Der große Nutzen liegt aber in der Anbindung des Marktes an ein Fernwärmenetz. Die Einspeisung erfolgt bei rund 65 °C Vorlauftemperatur – und zwar überwiegend im Sommer. Insgesamt hängen 20 Märkte an dem Netz, was dem Fernwärmeanbieter heute einen 34 % geringeren CO2-Ausstoß einbringt. Allerdings ist dieses Beispiel nicht einfach auf Deutschland übertragbar, da keine vergleichbaren Voraussetzungen bei der Fernwärmeversorgung gegeben sind wie in Dänemark. Der Blick hinter den Horizont war aber auch bei diesem Vortrag für viele Teilnehmer des Supermarkt-Symposiums besonders interessant.
CO2 und Kohlenwasserstoffe
Bei genauer Betrachtung stand der gesamte Tag im Zeichen natürlicher Kältemittel. Ob begleitend bei den zuvor besprochenen Supermärkten oder ganz direkt im zweiten Teil des Symposiums. So ist CO2 für neue Märkte heute bei der Tiefkühlung nahezu gesetzt. Zu diesem Ergebnis kam auch der Energiemonitor des EHI. Wie man in Kombination mit der Normalkühlung die Effizienz weiter verbessern kann, erklärte Bernd Heinbokel von der Carrier Deutschland Kältetechnik GmbH. Der Anbieter von CO2-Boostersystemen testet europaweit derzeit Gas-Ejektoren mit der Erkenntnis, dass sich tatsächlich Energie einsparen und vor allem der sogenannte CO2-Äquator für die Gewerbekälte hin zu milderen Klimazonen (8 bis 15 °C im Durchschnitt) verschieben lässt. Allerdings war er bewusst zurückhaltend bei in jüngster Zeit von verschiedenen Seiten immer wieder genannten Effizienzsteigerungen von 20 % durch den Ejektoreinsatz. Heinbokel nannte Werte von 12 % für Verdichter bzw. 8 % bezogen auf ein komplettes System. Höhere Angaben sind zwar theoretisch möglich und bei Simulationen auch erreichbar – allerdings in Bezug auf die Verdichtereffizienz.
Neben Carrier verfügt auch die Epta Deutschland GmbH über eine langjährige Erfahrung mit dem Kältemittel CO2. David Wirth ist Anwendungstechniker bei Epta und mit der Optimierung dieser Systeme befasst. Vor allem bei der Abwärmenutzung aus dem Kühlprozess, dem tatsächlichen Kältebedarf an den Kühlstellen, der Gesamtanlagenregelung und der Reduzierung der Verdichterarbeit sieht man bei Epta als Systemanbieter Potentiale, CO2-Anlagen noch effizienter zu machen. Allerdings wurde von Seiten der Komponenten- und Systemanbieter in den letzten zehn Jahren schon vieles geleistet. Inzwischen geht es immer mehr darum, Planung und Service „beherrschbar“ zu machen. Dazu sind jetzt geeignete Schulungsmaßnahmen notwendig, vor allem in der Breite und damit auch beim Kälteanlagenbau.
Besonders hellhörig wurde das Auditorium bei Vorträgen zum Kältemittel Propan. In Supermärkten bislang fast ausschließlich in steckerfertigen Kühlmöbeln oder außerhalb des Marktes im Einsatz, scheint es mit dezentralen Verbundsystemen jetzt auch den Sprung an die Kühlstellen zu schaffen. Ein Konzept dazu zeigte Christian Luber von der LIDL Stiftung, Neckarsulm. Dabei befinden sich die Kälteaggregate entweder direkt in den vorgefertigten Kühlmöbeln (Das österreichische Unternehmen AHT Haustechnik präsentierte am 20. April 2016 auf der Atmosphere Conference in Barcelona das neue Kühlregal „Vento Green“ für dezentrale Supermarkt- oder Discounterlösungen und dem Kältemittel Propan.) oder sind als separate Verdampfereinheiten ausgeführt, die beispielsweise in Kühlzellen oder Kühlräumen eingesetzt werden können. Entscheidend dabei sind die Propan-Füllmengen, die unter 150 g liegen. Damit wird den Anforderungen der aktuellen IEC 60335 – auch als Haushaltsgerätenorm bekannt – im gewerblichen Umfeld Rechnung getragen. Eine Überschreitung würde deutlich höhere Ex-Schutzmaßnahmen erfordern. Die Abwärme aus den Kühlmöbeln, -zellen oder MOPRO- und Fleischregalen gelangt bei der dezentralen Lösung über einen Solekreislauf ins Freie und wird dort entweder abgegeben oder über eine Wärmepumpe zurückgewonnen. Da bei LIDL durch das System keine Brauchwasserbereitung erfolgen muss, reichen niedrige Vor-/Rücklauftemperaturen von 40/30 °C für die Fußbodenheizung. Das kommt der Propananwendung entgegen. Ab wann dieses Konzept flächendeckend eingesetzt wird, ließ Christian Luber noch offen.
Ebenfalls dezentral ist eine Lösung, die Lorenzo Milano und Pancrazio Tondo von Cool Italia, Fellbach, zeigten. Dabei handelt es sich um steckerfertige Propan-Aggregate für Kühlzellen und Kühlräume, die in ein Konzept mit Solekreislauf, Trockenkühler und Wärmepumpe eingebunden werden können. Auch hierbei liegen die Propanfüllmengen unter 150 g. Zentral war hingegen eine zweite gezeigte Supermarktlösung von Cool Italia mit CO2 als Kältemittel. Unter der Bezeichnung „4Y“ erhält der Kunde eine Kombikälteanlage zum Kühlen, Klimatisieren, Heizen und für die Brauchwasserbereitung.
Interessant war zum Abschluss des Supermarkt-Symposiums die Betrachtungsweise des amerikanischen Konzerns Emerson hinsichtlich Kältemitteltrends für die Gewerbekälte, aber auch für andere thermodynamische Anwendungen. So ging Christian Söllner, Vertriebsleiter für Deutschland, Österreich und die Schweiz erstaunlich offensiv mit dem brennbaren Kältemittel Propan um und zeigte freigegebene Komponenten für das gesamte Angebotsspektrum von Emerson, die als „State-of-the-art“ bezeichnet werden. Ob ATEX zertifizierte, ungeregelte oder geregelte Scrollverdichter, Systemkomponenten und zugehörige Regelung, ob für die gewerbliche Kühlung, aber auch für Wärmepumpen. Verschiedene Referenzprojekte belegen, dass Emerson im OEM-Geschäft heute bereits marktfähige Lösungen mitentwickelt hat. Gleichzeitig war zu hören, dass inzwischen die Verfügbarkeit über den Fachgroßhandel gegeben sei, so dass es für den Kälteanlagenbau keine Einschränkungen mehr beim Einsatz von Propan zu geben scheint.
Zur Vervollständigung des Programms nutzte Rüdiger Fleischer für die Honeywell Inc. die Möglichkeit, über Alternativen zu den natürlichen Kältemitteln zu informieren. Da auch die chemische Industrie auf die Anforderungen der Gesetzgebung reagieren muss, stehen immer neue synthetische Stoffe zu Verfügung, die bessere GWP-Werte als die bisherigen verbreitet eingesetzten Kältemittel für Supermärkte haben und zum Klimaschutz beitragen. So beispielsweise neue Stoffe der 400er-Reihe oder die HFO-Kältemittel R1234yf/ze als Ersatz für R134a, die Fleischer präsentierte und deren Verwendungsmöglichkeiten aufzeigte.
Betrachtet man als Fazit die „Gewerbekälte im Zeichen der Klimaschutzziele“, so lieferte das Supermarkt-Symposium des ZVKKW einen Bauchladen an Möglichkeiten, CO2-Emissionen zu senken, dem Treibhauseffekt entgegen zu wirken, um damit einer Klimaerwärmung aktiv entgegen zu treten.