Bereit für brennbare Kältemittel?!

Info-Veranstaltung von Bitzer in Rottenburg

Die Verwendung von brennbaren bzw. natürlichen Kältemitteln wird vor dem Hintergrund der F-Gas-Verordnung weiter zunehmen (müssen). Doch welche Herausforderungen hat diese Entwicklung auf die verschiedenen Akteure der Branche wie Betreiber, Installateure, Hersteller und Lieferanten? Dieser Frage ging die Firma Bitzer bei ihrem Quo vadis-Symposium am 10. September 2019 in Rottenburg nach.

Quo vadis? Wohin geht die Reise in Bezug auf brennbare/natürliche Kältemittel? Diese Frage beschäftigt viele in der Kälte- und Klimabranche. Und so war es nicht weiter verwunderlich, dass die von der Firma Bitzer (www.bitzer.de) organisierte Infoveranstaltung zu diesem Thema am 10. September 2019 in Rottenburg vor ausgebuchtem Haus in der Schaufler Academy stattfand. Dabei hielt sich der Gastgeber im Vortragsreigen auffallend zurück und überließ das Podium meist externen Referenten, die aus ihrer individuellen Sicht schilderten, wie sie mit dem Thema brennbare bzw. natürliche  Kältemittel umgehen.

 

Kältemittel und die
EU-Klimaschutzziele

Andrea Voigt, EPEE-Geschäftsführerin (www.epeeglobal.org), bettete in ihrer Keynote das Thema Kältemittel in die europäischen Energie- und Klimaschutzziele ein. Diese Ziele sind klar formuliert: Bis 2030 sollen in der EU 40 % der Treibhausgase reduziert werden, der Anteil erneuerbarer Energien soll auf 32 % und die Energieeffizienz um 32,5 % steigen. Bei den beiden erstgenannten Zielen sind wir laut Andrea Voigt offensichtlich auf einem ganz guten Weg, erstaunlicherweise hinke die EU aber im Bereich Energieeffizienz den gesteckten Zielen hinterher. Hier müssten noch enorme Anstrengungen erfolgen, um die Zielvorgaben zu erreichen. Der Klimawandel habe auch einen direkten Einfluss auf den Energieverbrauch in Gebäuden. So gehe in Europa die Anzahl der Tage, an denen geheizt werden muss (Außentemperatur <15,5 °C), kontinuierlich zurück. Gleichzeitig steige jedoch die Anzahl der Tage, an denen Klimatisierungsbedarf besteht (Außentemperatur >22 °C). In absoluten Zahlen ausgedrückt, sei der Rückgang in Bezug auf das Heizen zwar wesentlich höher als die Zunahme in Bezug auf die Kühlung, erklärte Andrea Voigt. Doch die Kühlung sei auf dem Weg, der größte Stromverbraucher in Gebäuden zu werden. Man rechne damit, dass bis 2050 16 % des weltweiten Stromverbrauchs auf die Kühlung entfalle. Bei dem zu erwartenden Zuwachs an Klimaanlagen in den nächsten Jahren könnte vor allem bei Hitzewellen die Stabilität der Stromnetze darunter leiden.

Und was bedeutet diese Entwicklung vor dem Hintergrund der Kältemitteldiskussion? Klare Antwort von Andrea Voigt: Die Energieeffizienz müsse viel stärker als bisher als Hebel zur CO2-Emissionsminderung angesetzt werden. Über 70 % der gesamten Treibhausgas-Emissionen von Kühlsystemen entfallen nämlich auf den Energieverbrauch, nur 30 % sind den direkten Kältemittelemissionen geschuldet. Bei steigendem Einsatz von Kältemitteln mit niedrigem GWP und geringeren Leckageraten werde der Anteil der energiebezogenen Emissionen noch weiter steigen. Die Zahlen gelten wohlgemerkt für ganz Europa – in Deutschland stehen wir bei den direkten Kältemittelemissionen aufgrund niedrigerer Leckageraten deutlich besser da. Unsere Branche müsse angesichts dieser Zahlen noch viel aktiver werden und sich besser positionieren, um den teils realitätsfernen Vorstellungen mancher Politiker konkrete Zahlen entgegenhalten zu können. Statt die Kältemittel noch weiter zu reglementieren, wären Maßnahmen zur Reduzierung der Kühllast in Gebäuden (bessere Verglasung, Isolierung der Gebäudehülle, Sonnenschutz) sowie Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz (Einsatz effizienterer Produkte, bessere Wartung und Inspektionen, Integration von Heizung und Kühlung, Wärmerückgewinnung bzw. -speicherung, etc.) viel zielführender.

 

Entwicklung neuer Verdichter ist komplexe Aufgabe

Dr. Heinz Jürgensen, Bitzer, berichtete in Rottenburg darüber, welche konstruktiven Anforderungen an Verdichter bestehen, je nachdem welches Kältemittel zum Einsatz kommt. Hier gebe es etliche Aspekte zu beachten, die in Abhängigkeit des Kältemittels variieren: Druck, volumetrische Kälteleistung, Druckgastemperatur, Materialien, Schmierung etc.

Um einen Verdichter auf ein neues Kältemittel anzupassen und ihn freizugeben, müsse man für Untersuchungen und Tests schon einen längeren Zeitraum einplanen – zumal auch Langzeittests gemacht werden müssten. Knackpunkt sei hierbei vor allem die Materialverträglichkeit von Ölen und Dichtungen. Bei Bitzer könne man immerhin die erforderliche Entwicklungsarbeit meist recht früh beginnen, weil die Anbieter neuer Kältemittelgemische auf einen Weltmarktführer im Bereich Verdichter auch entsprechend frühzeitig zukommen würden. Trotzdem könne kein Komponentenhersteller neue Produkte so einfach aus dem Ärmel schütteln und man könne auch nicht auf jeden Kältemittelzug aufspringen. Wenn bekannte Kältemittelbestandteile zu einem neuen gemischt würden, sei dies noch vergleichsweise einfach in den Griff zu bekommen. Problematischer sei es, wenn ganz neue Bestandteile, wie z.B. jodhaltige Substanzen wie in R466A, zum Einsatz kommen sollen. Bei brennbaren Kältemittel müsse man sich als Verdichterhersteller auch über mögliche Zündquellen im Gerät bzw. generell über Risikobewertungen Gedanken machen. Nicht zu vergessen: Wie informiert man als Hersteller seine Kunden zuverlässig über Einsatzgrenzen, Öltypen, Sicherheitsaspekte, Anwendungsmöglichkeiten usw.?

 

Welche Kältemittel werden
weltweit am häufigsten eingesetzt?

Äußerst informativ waren auch die Ausführungen des Bitzer-Software-Experten Julian Pfaffl, der Zahlen aus der Bitzer-Auslegungssoftware präsentierte. Rund 1 Mio. Auslegungen haben Kunden 2019 weltweit mit dem Bitzer-Tool gemacht und daraus lässt sich hervorragend ableiten, welche Kältemittel – zumindest in der ersten Auslegung – von Kunden eingesetzt werden:

Semi-hermetische Hubkolbenverdichter: CO2 (24 %) hat R404A (23 %) überholt. HFO-Gemische als Ersatzstoffe für R134a/R404A haben einen Anteil von 17 %, R22 immer noch von 5 %. Weltweiter GWP-Durchschnitt in der Gewerbekälte ist ~1840.

Schraubenverdichter: R404A ist mit 32 % das meistgewählte Kältemittel. Der Anteil brennbarer/natürlicher Kältemittel beläuft sich auf 31 %. HFO-Gemische liegen bei 9 %, R22 bei 6 %.

Bei Schraubenverdichtern für Kaltwassersätze ist R134a mit 63 % das führende Kältemittel. Der Anteil brennbarer Kältemittel liegt bei 12 %, der von HFO-Gemischen bei 7 %.

Scrollverdichter: R410A ist mit 77 % das meist genutzte Kältemittel, brennbare Kältemittel liegen bei 23 %.

 

Herausforderungen eines
Kältemittel-Lieferanten

Harald Conrad, Technischer Berater Kältemittel bei Westfalen (www.westfalen.com), gab einen Überblick über die aktuelle Kältemittelsituation und berichtete über die sich daraus ergebenden Herausforderungen aus Sicht eines Kältemittellieferanten. Ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang ist die Preisentwicklung. Auf den ersten Blick beruhigend ist die Information, dass die Preise momentan stabil, sogar leicht fallend seien. Nach Auffassung von Harald Conrad gibt es hierfür fünf Hauptgründe:

1. Mit dem Preisanstieg in 2017 hätten viele Kältemittel in großem Umfang „gebunkert“, so dass die Nachfrage gesunken sei.

2. Gebrauchte Kältemittel aus Bestandsanlagen würden flächendeckend wieder neu eingesetzt, ohne entsprechende Regularien zu beachten.

3. Illegale Einfuhren und Hehlerware kämen verstärkt zum Einsatz.

4. Investitionen in Anlagen mit natürlichen und Niedrig-GWP-Kältemittel seien bereits 2018 erfolgt.

5. Dichtheitskontrollen zeigten Wirkung.

 

Die Preisentwicklung dürfe die Branche aber nicht dazu verleiten, die Hände in den Schoß zu legen. 2021 kommt die nächste Quotenreduzierung. Gleichzeitig wird sich die Quotenaufteilung zu Ungunsten der etablierten Vertriebswege verändern. Ob und bei wem Hoch-GWP-Kältemittel dann noch verfügbar sein werden, sei äußerst fraglich. Explizit warnte Conrad vor den Risiken, die sich durch die Verwendung illegal beschaffter Kältemittel ergäben. Unfälle mit Material- und Personenschäden seien genauso wenig auszuschließen wie Effizienzeinbußen bei Kälte- und Klimaanlagen.

Nach einigen Tipps und Informationen zum Transport und zur Lagerung von brennbaren Kältemitteln mahnte Harald Conrad, dass man als Anlagenbauer unter keinen Umständen die Erstellung von Risikoanalysen und Betriebsanleitungen vernachlässigen dürfe. „Als Anlagenbauer kommen Sie ins Teufels Küche, wenn etwas passiert und sie keine Risikoanalyse gemacht haben.“ Beim Einsatz brennbarer Kältemittel könne man sich dieses von vielen als Kavaliersdelikt angesehene Verhalten nicht mehr erlauben.

Diese Auffassung vertrat auch Asercom-Präsident Wolfgang Zaremski im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Rottenburg: „Wir benötigen einen Kulturwandel in unserer Branche. Laissez-faire beim Umgang mit Kältemittel darf es nicht mehr geben. Die Zeit der sogenannten Sicherheitskältemittel endet bald.“ VDKF-Präsident Karl-Heinz Thielmann empfahl in diesem Zusammenhang, dass man sich als Kälteanlagenbauer auf ein bzw. wenige Kältemittel konzentrieren solle. „Kältemittel-Allrounder zu sein, ist kaum möglich. Der Umgang mit CO2, NH3 und Propan erfordert jeweils unterschiedliche Fachkenntnis.“

 

Manche mögen’s heiß

Für einen heißen, eiskalten, unterhaltsamen und informativen Höhepunkt sorgte zum Abschluss der Quo vadis-Veranstaltung Martin Krude von der Westfalen AG. Alle Teilnehmer mussten hierfür die Schaufler Academy verlassen. Auf dem Parkplatz vor dem Gebäude wurde ihnen dann eine echte Show geboten. Flüssiger Stickstoff, Trocken­eis, meterhohe Propanflammen und mit ohrenbetäubendem Lärm explodierende Ballons waren die Attraktionen. Auch wenn die Vorführung zirkusreif war, so ist der Lerneffekt nicht zu unterschätzen. Den Zuschauern wurde eindrucksvoll verdeutlicht, dass man den Umgang mit brennbaren Gasen nicht auf die leichte Schulter nehmen darf, man andererseits vor ihnen auch nicht in Ehrfurcht erstarren muss. Wer wie Martin Krude weiß, welche Risiken bestehen und welche Sicherheitsmaßnahmen man beachten sollte, kann auch Propan und Acetylen sicher handhaben.

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