Natürliche Kältemittel für zukunftssichere Anlagen

Bitzer gibt konkrete Empfehlungen

Der Phase-Down fluorierter Kältemittel entwickelt sich immer schneller zu einem Phase-Out. Die zunehmend strikteren Regularien stellen die Kälte-, Klima- und Wärmepumpenbranche nicht nur innerhalb der EU vor Herausforderungen. Die Wahl des Kältemittels ist entscheidend, um Investitionen in Anlagen langfristig zu sichern. Bitzer empfiehlt den Einsatz natürlicher Kältemittel, wie Dr. Heinz Jürgensen, Direktor für Anwendungstechnik und Sonderprojekte, im Interview erläutert. Dabei unterstützt das Unternehmen seine Kunden und Partner mit einer langjährigen Expertise im Umgang mit natürlichen Kältemitteln.

Was bedeutet die F-Gase-Verordnung 2024/573 von Februar 2024 für die Praxis?

Jürgensen: Mit dem beschleunigten Phase-Down von HFKW muss sich die Kälte-, Klima- und Wärmepumpenbranche, die nach Europa liefert, bereits jetzt auf gravierende Beschränkungen für Neu- und Bestandsanlagen vorbereiten. Europa steuert auf eine Zukunft mit minimalem Einsatz fluorierter Kältemittel zu. Die Verwendung natürlich vorkommender Stoffe als Kältemittel wird stark an Bedeutung gewinnen. Die ersten Restriktionen der überarbeiteten Verordnung sollen schon ab Januar 2025 gelten. Hunderttausende Anlagen in der gesamten EU sind betroffen. Die allermeisten davon sind nicht so konstruiert, dass sie sich auf langfristig verfügbare Kältemittel umstellen lassen.

Welche Kältemittel werden langfristig noch verfügbar sein?

Jürgensen: Dazu zählen ganz klar natürliche Kältemittel, da diese einen geringen Umwelteinfluss haben. Das bedeutet nach heutigen Maßstäben: Ozonzerstörungspotenzial ODP = 0, Treibhauspotenzial (Global Warming Potential) GWP < 10, hohe Energieeffizienz, wenig bis keine umweltschädigenden Abbauprodukte, sehr geringer Produktionsaufwand, sehr wenig Produktionsabfälle. Diese Kriterien erfüllen viele natürlich vorkommende Substanzen wie R744 (CO2), R717 (Ammoniak), R290 (Propan), R729 (Luft) und R718 (Wasser). Die Wahl ist abhängig von der jeweiligen Anwendung.

Welche Auswirkung  hat die Wahl des Kälte­mittels auf den Carbon Footprint eines Unternehmens der Kälte-, Klima- und Wärmepumpenbranche?

Jürgensen: Der Carbon Footprint eines Unternehmens setzt sich aus direkten und indirekten Treibhausemissionen zusammen. Daraus ergeben sich verschiedene Hebel, um den Carbon Footprint zu reduzieren, wobei die Wahl des Kältemittels maßgeblich die direkten Emissionen beeinflusst. Natürliche Kältemittel sind sehr umweltverträglich. Beispielsweise hat R717 (Ammoniak) einen GWP von 0, R744 (CO2) einen GWP von 1 und R290 (Propan) einen GWP von 3, was äußert gering ist. Der neueste Bericht des Weltklimarates IPCC nennt für R290 sogar einen GWP von 0,02. Neben den verwendeten Kältemitteln tragen auch die Materialien und Emissionen aus der Produktion zu den direkten Treibhausemissionen bei. Insgesamt entfällt der größte Anteil am Carbon Footprint auf die indirekten Emissionen, die entlang der Wertschöpfungskette beispielsweise durch den Bezug von Energie und die Nutzung von Produkten entstehen. Durch den Einsatz erneuerbarer Energien und energieeffizienter Produkte lassen sich diese Emissionen reduzieren.

Welche Kältemittel empfiehlt Bitzer für ­Neuanlagen?

Jürgensen: Bitzer empfiehlt, neue Kälte-, Klima- und Wärmepumpenanlagen in der EU so zu planen und zu konstruieren, dass sie möglichst mit natürlichen Kältemitteln betrieben werden. Wir unterstützen unsere Kunden und Partner dabei. Bitzer hat sein Portfolio und die Expertise im Umgang mit natürlichen Kältemitteln über Jahrzehnte aufgebaut. Das Unternehmen verkauft beispielsweise seit 2003 Verdichter für R744 (CO2) und ist der einzige Verdichterhersteller, der Hubkolben-, Schrauben- sowie Scrollverdichter für R290 (Propan) führt.

Ist die Verwendung natürlicher Kältemittel beispielsweise aus technischen Gründen nicht möglich, empfehlen wir dringend die Wahl eines Kältemittels mit GWP < 10, beispielsweise R1234yf. Sollte das ebenfalls nicht möglich sein, kann der Grenzwert GWP < 150 ins Auge gefasst werden. Hier ist jedoch Vorsicht geboten: Dieser Wert könnte für Neuanlagen bereits als zu hoch gelten, wenn die vorgeschlagenen Phase-Down-Werte nach 2030 berücksichtigt werden. Dabei gehen wir davon aus, dass jetzt in­stallierte Anlagen mit Verdichtern von Bitzer weit über 2030 hinaus betrieben werden. HFKW-Kältemittel mit einem höheren GWP, die unbedingt benötigt werden, sollten nur noch für die Wartung von Bestandsanlagen eingesetzt werden, da die Quoten nach unseren Abschätzungen ab spätestens 2027 trotz steigendem Recycling nur noch dafür reichen (vgl. Bild 1).

Wie geht es mit Bestandsanlagen weiter, die mit fluorierten Kältemitteln betrieben werden?

Jürgensen: Es ist durchaus möglich, dass funktionierende Anlagen durch neue ersetzt werden müssen, da die Kältemittel den gesetzlichen Anforderungen nicht mehr gerecht werden. Entsprechend unseren Informationen werden der Betrieb und die Wartung von Bestandsanlagen mit HFKW für noch rund 10 bis 15 Jahre möglich sein. Jedoch wird es Grenzen der zulässigen GWP-Werte sowie der Menge an verfügbaren fluo­rierten Kältemitteln geben. Wir erwarten ab 2025 deutliche Preissteigerungen und Kältemittel-Engpässe sind ab 2027 nicht auszuschließen. Signifikante Preissteigerungen von Kältemitteln mit einem GWP > 150 sind ab diesem Zeitpunkt unausweichlich.

Was ist daher Ihre Empfehlung für Bestandsanlagen?

Jürgensen: Bitzer empfiehlt dringend, Bestandsanlagen mit hohem Wartungsaufwand oder Kältemittelverlust auf die technisch und wirtschaftlich geringstmöglichen GWP-Werte umzustellen. Dabei bieten wir unseren Kunden und Partnern auch Unterstützung, beispielsweise durch Trainings, Leitfäden und Sonderauslegungen.

Welche Besonderheiten gibt es im Umgang mit natürlichen Kältemitteln?

Jürgensen: Natürliche Kältemittel erfordern meist besondere Schulungen für einen sicheren Umgang. So sind Kohlenwasserstoffe wie R290 (Propan) oder R600a (Isobutan) hochentzündlich. R744 (CO2) wiederum geht mit hohen Anlagendrücken einher. Entscheidend ist es, sich fundiertes Fachwissen über die Kältemittel der Zukunft anzueignen. Wir unterstützen hier mit einer Vielzahl an Informationen. Die Schaufler Academy bietet beispielsweise ein breitgefächertes, praxisorientiertes Schulungsprogramm zum Umgang mit natürlichen Kältemitteln. Die Trainings werden sowohl digital als auch vor Ort in Rottenburg-Ergenzingen angeboten. Außerdem bietet der Bitzer Kältemittel-Report seit vielen Jahren ein verlässliches Nachschlagewerk für die Branche. Der Kältemittel-Report enthält umfassende Informationen zu 132 Kältemitteln, Vergleiche ihrer Stoffdaten sowie konkrete Empfehlungen für Bestands- und Neuanlagen und ist immer aktuell hinsichtlich Regularien und Vorgaben.

Die Anlagenkomponenten selbst müssen für natürliche Kältemittel ausgelegt sein. Bitzer verfügt mit seinen Produkten über eine langjährige Expertise mit natürlichen Kältemitteln und entwickelt sein Portfolio kontinuierlich dahingehend weiter. So präsentieren wir auch auf der diesjährigen Chillventa wichtige Produktneuentwicklungen für den Betrieb mit natürlichen Kältemitteln, beispielweise die Kompaktschraubenverdichterserie CS PRO für einen erweiterten Einsatzbereich mit den Kohlenwasserstoffkältemitteln R290 (Propan) und R600a (Isobutan). (s. Infokasten mit Link) Grundsätzlich kann ein Umstieg auf alternative Kältemittel im Zusammenhang mit neuen Verdichtern und Komponenten auch eine höhere Energieeffizienz und Kosteneinsparpotenziale bieten (vgl. Bild 2).

Viele Niedrig-GWP-Kältemittel gelten ­zudem als PFAS und könnten über die EU-REACH-Chemikalienverordnung verboten werden. Kann davon ausgegangen werden, dass sich die PFAS-Verbote durchsetzen?

Jürgensen: Die ungesättigten teilfluorierten F-Gase (HFO) wurden als wichtiges Werkzeug zur Verringerung der direkten Treibhausgasemission entwickelt. Was vor Kurzem eingeführt wurde, um die Emissionsquoten der F-Gasverordnung zu erreichen, könnte unter ein mögliches PFAS-Verbot fallen. Dann wäre es schwieriger, die Emissionsziele zu erreichen. Wir gehen derzeit stark von einem kommenden PFAS-Verbot aus. Es ist jedoch schwer abzuschätzen, welche Stoffe genau betroffen sein werden. Darum empfehlen wir eindeutig, bei so vielen Anlagen wie möglich natürliche Kältemittel einzusetzen.

Wie sieht es außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums aus?

Jürgensen: Die aktuellen Entwicklungen der Regularien in Europa werden auf der ganzen Welt aufmerksam beobachtet. Das Kigali Amendment sieht auch global eine schrittweise Reduktion von Emissionen durch F-Gase vor – jedoch mit einer versetzten Zeitschiene und abhängig von Ländergruppen. Traditionelle Industrieländer müssen 2024 ihre Emissionen aus dem Verbrauch und der Produktion um 40 Prozent gegenüber den Basisjahren 2011–2013 senken. Andere Länder haben etwas mehr Zeit. Sogenannte Artikel-5-Länder beispielsweise müssen 2024 ihre Emissionen zum ersten Mal überhaupt begrenzen. Viele Länder weltweit setzen sogar auf eine stärkere Reduktion, als das Kigali Amendment vorschreibt – nicht nur die EU mit der F-Gase-Verordnung. Auch beispielsweise Australien, Japan und Norwegen. Verkürzungen können durch die einzelnen Länder beschlossen und durch Finanzierungen des Multilateral Funds gefördert werden. Wenn sich alle Mitglieder einig sind, können die vorgesehenen Zeitschienen auch insgesamt verkürzt werden. Vor 2028 ist damit voraussichtlich jedoch nicht zu rechnen (vgl. Bild 3).

Erwarten Sie in naher Zukunft neue Kältemittel?

Jürgensen: Für Sonderanwendungen, zum Beispiel für Hochtemperaturwärmepumpen über +140 °C, ist Wasser als Kältemittel interessant. Für die üblichen Anwendungen werden eher neue Gemische von Kohlenwasserstoffen oder Gemische mit CO2 auf den Markt kommen. Der Temperaturgleit solcher Gemische kann genutzt werden, um die Effizienz im Verflüssiger und Verdampfer zu erhöhen. Kohlenwasserstoffe lassen sich untereinander so mischen, dass sie die gleiche Drucklage wie ein anderes Kältemittel erreichen. Mit Kohlendioxid können nicht brennbare Gemische hergestellt werden. Umgekehrt mischt man Kohlenwasserstoffe zu CO2, um den Anwendungsbereich zu erweitern: Ihr Anteil hebt den kritischen Punkt, sodass man bei höheren Temperaturen verflüssigen kann als mit reinem CO2. Und auf der Niederdruckseite kann man mit den Gemischen tiefer verdampfen, weil die Kohlenwasserstoffe noch bei tieferen Temperaturen als CO2 flüssig bleiben. Außerdem senkt man die Drucklage gegenüber reinem CO2 und kann damit Effizienz gewinnen.

Vielen Dank für das Interview!

Praxisnaher Austausch zu Zukunfts­themen auf der Chillventa

Unter dem Motto „Shaping the future with you” heißt Bitzer das internationale Fachpublikum auf der diesjährigen Chillventa in Halle 7, Stand 350 willkommen. Besucher können die zukunftsweisenden Technologien des Unternehmens kennenlernen und sind außerdem eingeladen, mit Experten Strategien zu diskutieren, mit denen der Carbon Footprint der Branche weiterhin nachhaltig reduziert werden kann. Unter anderem wird Dr. Heinz Jürgensen in der neuen Experience Area am Messestand einen Vortrag zum Thema „Kältemittel – die zukunftssichere Wahl“ halten. Weitere Informationen zu Bitzer auf der ­Chillventa sind hier zu finden: https://www.bitzer.de/de/de/2024_chillventa.jsp

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