Vorbild für Neubau und Bestand
EHI-Energiemanagement-Kongress 2019
Der Energiemanagement-Kongress des EHI in Köln bot am 27. und 28. November 2019 wieder Einblicke, wie verantwortungsvoll der Handel mit Energie umgeht. Dass es dabei nicht nur um Gesetzestreue oder Selbstzweck geht, belegt der neue Alnatura-Campus sehr eindrucksvoll.
Wer sich für Energieeffizienz aus Sicht eines Gebäudes und dessen Betrieb interessiert, der ist beim jährlichen Kongress „Energiemanagement“ des EHI Retail Institute in Köln genau richtig. Die wissenschaftlich ausgerichtete Einrichtung bündelt die Interessen und Bedürfnisse des Food- und Nonfood-Handels, schafft es aber gleichzeitig, eine Brücke hin zur Praxis zu bauen. So braucht es keinesfalls den Status „Händler“, um als Tagungsteilnehmer Ideen für den effizienten Betrieb einer Immobilie oder technischen Gebäudeausrüstung aufzuschnappen, um eine optimale Gebäudehülle zu planen, oder um im Bestand für Büro- und Verwaltungsgebäude, Liegenschaften der öffentlichen Hand und sogar für den Mietwohnungsbau pragmatische Lösungen zu finden. Der Lebensmitteleinzelhandel ist beispielhaft und kann Vorbild für viele andere Sektoren der deutschen Wirtschaft sein.
Dazu kommt, dass Handelsketten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kontinuierlich Strom einsparen und die Wärmeeffizienz ihrer Verkaufsräume erhöhen. So sinkt der Stromverbrauch pro Quadratmeter Verkaufsfläche und Jahr bei den Food-Handelsketten kontinuierlich. Bei den Non-Food-Ketten ist er stabil. Das zeigte einmal mehr die Studie Energiemanagement im Einzelhandel 2019, die im Rahmen des EHI-Kongresses vorgestellt wurde. Die EHI-Studie gibt Auskünfte über durchschnittliche Energiekosten im Einzelhandel. Beteiligt haben sich 66 marktführende Handelsunternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz mit über 42.000 Filialen. Die Studie ist im EHI-Shop erhältlich unter www.ehi.org.
Einmaliger Neubau, effizienter Bestand
Vor allem das abwechslungsreiche Kongressprogramm bietet immer reichliche Informationen. Zwei der gehaltenen Vorträge standen beispielhaft für das vorbildliche Tun und Handeln im Handel und sollen darum herausgehoben werden, ohne das Präsentierte der anderen Tagungsreferenten zu schmälern.
Da wäre zunächst der neue Campus des für Bio-Lebensmittel bekannten Unternehmens Alnatura. Dieser entstand auf einer Konversionsfläche bei Darmstadt. Dem Nachhaltigkeitsgedanken folgend hatten die künftigen „Bewohner“ selbst die Möglichkeit, sich bei der Entwicklung der Liegenschaft einzubringen. So wurde aus Wunsch Wirklichkeit, das gesamte Gebäude aus Lehm zu bauen, ohne fossile Energieträger zu heizen oder zu kühlen und eine menschenfreundliche Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Das Ergebnis ist europaweit einmalig. Aus 384 gigantisch wirkenden und eigens für dieses Projekt entwickelten Lehmbausteinen mit integrierter Geothermieheizung entstand die Hülle. Glas ist überall dort, wo es Sinn macht und nicht nur der Reputation eines Architekten dient. Die Zuluftkühlung geschieht über zwei große Erdkanäle, eine mechanische Klimaanlage gibt es nicht. Durch den Naturbaustoff Stampflehm der Wände regeln sich Temperatur und Feuchte im Gebäude optimal, so die Erfahrungen der Nutzer, die im Januar 2019 einzogen. Abgerundet wird der Nachhaltigkeitsgedanke für Natur und Mitarbeiter durch eine komplett offen gestaltete Arbeitswelt und Begegnungsstätte im Innenraum, ein öffentliches vegetarisches Biorestaurant, ein Kindergarten und zur Freizeitgestaltung sogar inklusive Fahrradwerkstatt und Pachtgärten auf dem ehemaligen Gelände der US-Streitkräfte. Tatsächlich ist der neue Alnatura-Campus kein herkömmlicher Arbeitsplatz, sondern ein nachhaltiger Lebensraum geworden. Dafür erhielt das Unternehmen das DGNB-Zertifikat in Platin und den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2020 verliehen.
Eine ebenso bemerkenswerte Lösung gänzlich anderer Natur präsentierte die Kaufhauskette Breuninger für seine Liegenschaft in Freiburg. Denn die großen CO2-Einsparpotentiale schlummern nicht im Neubau, sondern im Bestand. Nur sind Strategien rar, dieses Potential auch zu heben. Das jetzt umgesetzte Konzept ermöglicht durch eine intelligente und selbstlernende Anlagensteuerung Energie einzusparen und gleichzeitig in allen Etagen ein stabiles Raumklima zu halten. Dafür wurde die bereits vorhandene DDC-Regelung genutzt und alle verfügbaren Daten der Gebäudetechnik in einen digitalen Zwilling des Gebäudes übertragen. Eine Verknüpfung mit Wetterdaten und Prognosemodellen, Kalenderdaten oder Kundenfrequenz führte zu einem ganzjährigen Regelalgorithmus und energieoptimierten Betrieb. Ohne Umbau der Gebäudetechnik können jährlich so rund 20 % Energie eingespart werden, was seit Umsetzung des Projekts in Freiburg knapp 170 t CO2 entspricht. Diese geringinvestive aber technologisch anspruchsvolle und sehr wirkungsvolle Maßnahme in einem mehrstöckigen Department Store hat echten Pilotcharakter. Darum erhielt Breuninger den EHI Energiemanagement Award 2019 für eine kluge und innovative Bestandslösung ihres Freiburger Marktes.
And the winner is …
Außer Breuninger gab es noch weitere Preisträger. Und wie in jedem Jahr bot der gemeinsame Festabend zum Abschluss des ersten Veranstaltungstages den Rahmen für die Auszeichnungen. Den EHI Award 2019 bekamen außerdem verliehen die Unternehmen Edeka Südwest, die Genossenschaft Coop Schweiz sowie die Handelsketten Lidl und Kaufland.
Edeka Südwest
Um den Herausforderungen bei der energetischen Sanierung von Bestandsmärkten gerecht zu werden, wurde bei Edeka Südwest 2016 das Förderprogramm für energetische Sanierung (FESA) initiiert. Es bietet einen monetären Ansatz, um selbständige Einzelhändler der Edeka Südwest bei der Umsetzung wirksamer Energieeffizienzprojekte mitzunehmen und energetische Sanierungen von über 1300 Bestandsmärkten voranzutreiben. Dazu gehören die Umstellung der Kältetechnik auf alternative Kältemittel und Wärmerückgewinnung, der Systemwechsel der Heizung auf CO2-freie Lösungen wie Wärmepumpen, Lichtsysteme mit LED oder die Einführung von EMCS (EnergieManagement Controlling System) zur Überwachung und Erfolgskontrolle. Die zinsfreien Kredite und Zuschüsse funktionieren wie öffentliche Zuwendungen, müssen aber nicht vorfinanziert werden und haben außerdem sehr lange Laufzeiten. Für rund 300 Märkte wurden bereits die vorab notwendigen Audits durchgeführt und inzwischen 9 Mio. € an Fördermitteln ausbezahlt. Das Ergebnis: rund 12.000 t CO2-Einsparungen pro Jahr. Das Konzept ist in dem genossenschaftlichen Modell der Edeka bislang einzigartig und läuft noch bis ins Jahr 2021.
Coop Schweiz
Der Coop Schweiz ist es zwischen 2008 und 2018 gelungen, den CO2-Ausstoß um 27,5 % zu verringern. Bis 2023 will man den absoluten jährlichen Ausstoß um insgesamt 50 % (im Vergleich zu 2008) reduzieren. 2019 wurde die Coop Schweiz vom EHI für ein Konzept ausgezeichnet, dessen Kern eine intelligente Verbindung eines Eisspeichers mit einer PV-Anlage ist. Durch Einspeisung des überschüssigen PV-Stroms der eigenen Anlage in den Eisspeicher gelingt dadurch ein CO2-freier Beitrag zur Sicherung der Netzstabilität innerhalb eines Areals. Im ersten Betriebsjahr konnte mit dem Eisspeicher die Eigenverbrauchsquote für PV-Strom um 30 % gesteigert werden. Die Investitionskosten für den Eisspeicher sind zwar sehr hoch und liegen bei rund 300.000 CHF. Nach Aussage des Investors ist es aber in etwa gleichviel, wie für einen adäquaten Batteriespeicher zur Vorhaltung von PV-Strom. Durch seine Langlebigkeit ist der Eisspeicher der Batterie aber deutlich überlegen und hat dazu kein Entsorgungsproblem. Konzeptpartner von Coop ist die Schweizer Frigo-Consulting AG. Zudem wird das Projekt durch das Schweizer Bundesamt für Energie (BFE) unterstützt.
Lidl und Kaufland
Die Unternehmen Lidl und Kaufland wurden für ein unternehmensübergreifendes Organisationskonzept im Bereich nachhaltige Mobilität im urbanen Raum ausgezeichnet. Das flexible Car-Sharing-Konzept integriert die Supermarktparkplätze mit Ladestationen in ein urbanes Ladenetz. Der Mobilitätspartner Urban Mobility International GmbH (UMI) kann die Fahrzeuge in den Zeiten, in denen sie nicht genutzt werden – vor allem nachts – zu den Ladestationen befördern. Dies führt zu einer effizienten Auslastung der Ladeinfrastruktur. Das Projekt ist nach Meinung der Juroren ein innovativer Multi-Use-Case für den wirtschaftlichen Betrieb von Ladesäulen, mit dem sich eine weitere Verbreitung der E-Ladeinfrastruktur vorantreiben lässt.
Maulkorb für Herdan?
„Wir Handelsunternehmen haben seit 1990 50 % CO2-Einsparungen erzielt und damit die bis 2030 gesteckten Klimaschutzziele der Bundesregierung bereits übererfüllt“. So fasste Lars Reimann, Abteilungsleiter Energie- und Umweltpolitik beim Handelsverband Deutschland (HDE) e.V., Berlin, beim EHI-Kongress 2018 die jahrelangen Anstrengungen seiner Mitglieder zusammen, und forderte: „Es ist jetzt dringend notwendig, derzeitige Klimaschutzmaßnahmen neu auszurichten. Dazu gehört nach unserer Überzeugung auch ein Preisschild für CO2. Was Klimaschutzmaßnahmen begünstigt und damit auch den Handel finanziell entlastet.“ Zu dieser klaren Haltung sollte der Politik im Folgejahr 2019 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden – aber das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) kniff. Thorsten Herdan, Leiter der Abteilung II „Energiepolitik – Wärme und Effizienz“, zog seine bereits erteilte Zusage für die Eröffnungsrede kurzfristig zurück und benannte trotz Bittens keinen Ersatzredner – was den Veranstalter doch überraschte.
Der Rückzieher ist erstaunlich, denn hinter vorgehaltener Hand sprach sich Thorsten Herdan mir gegenüber noch auf der ISH 2018 für eine dringend notwendige Abgabe auf CO2-Emissionen aus. Er musste sich damals bei seinem öffentlichen Statement vor Journalisten der Heizungsindustrie dann allerdings an die Sprachregelung seines Ministers gegen eine CO2-Abgabe halten. Möglicherweise wurde vor seinem Auftritt beim EHI von oberster Stelle wieder ein Maulkorb verordnet, weil sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung das inzwischen allseits bekannte Klimapaket gerade auf der Zielgeraden befand. Und ein Durchsickern der anfangs geplanten Minimalbesteuerung von nur 10 € pro Tonne CO2 hätte wohl hohe Wellen geschlagen. Auf jeden Fall vergab das BMWi eine Chance, den Handel als wichtigen Teil der deutschen Wirtschaft beim Klimaschutz mitzunehmen und sich dafür zu bedanken, dass „Klimaschutz“ hier seit Jahren nicht nur diskutiert, sondern in vorbildlicher Weise gelebt wird.
(Kommentar von Achim Frommann, Freier Fachjournalist, Sasbach)