Zurück in die Zukunft

Historische Kälteanlage im stillgelegten Schlachthof Stollberg

Die KKA-Redaktion erhielt einen Hinweis, dass sich in einem ehemaligen Schlachthof in Stollberg (Sachsen) eine Kälteanlage aus der vorletzten Jahrhundertwende befinden soll. Im November 2013 war die Redaktion vor Ort und hatte das Glück, den ehemaligen Maschinisten der Anlage zu treffen. Mit ihm begaben wir uns auf eine spannende Reise in die Vergangenheit mit einem vielversprechenden Ausblick in die Zukunft.

Der Hinweisgeber hat eine hohe Affinität zu technischen Dingen aus der Vorkriegszeit und war im Internet auf Bilder dieser Anlage gestoßen. In dem alten Gemäuer präsentierte sich ihm ein wahrer Schatz, so auch die Meinung des bundesdeutschen Vereins für Historische Kälte- und Klimatechnik (HKK), der die Anlagen im Schlachthof Stollberg in die „Straße der Kälte“ aufnehmen will.

Die KKA-Redaktion und Bundesinnungsmeister Heribert Baumeister nutzten die Chance, einen Blick auf die Anlage „im Dornröschenschlaf“ zu werfen (www.vhkk.org).

Unberührte Geschichte

Die beiden liegenden Verdichter (Kältemittel Ammoniak) sind weitestgehend im Originalzustand erhalten: Die erste Kälteanlage, mit einem Kreuzkopfverdichter der Maschinenfabrik Germania stammt aus dem Baujahr des Schlachthofes (1899). Sie wurde zur Luftkühlung eingesetzt und ging 1900 in Betrieb. Der zweite Verdichter ist ein „jüngeres“ Modell der Maschinenfabrik Haubold, Baujahr 1925, der seine Dienste 1926 aufnahm. Dieser bediente den Eisgenerator zur Produktion von Stangeneis. Beide Anlagen konnten über Absperrventile verbunden werden, so wurde gewährleistet, dass bei Ausfall eines Verdichters der Betrieb nicht gestört wurde. Der Berieselungskondensator ist bedauerlicherweise nicht erhalten, Maschinenhaus, Luftkühler und Eisgenerator befinden sich dafür in nahezu unberührtem Originalzustand. Die Germania-Anlage besteht aus den Kreuzkopfverdichtern mit Schleifringläufer-Antriebsmotoren, vorgeschalteten Flüssigkeitsabscheidern und Entölungs-Rektifikatoren. Die Verdampfung erfolgt in einem eingehausten Querrohrverdampfer mit Radiallüfter. Die Luftverteilung und Regelung erfolgte über Kanäle und Klappen, die Abtauung mittels untergebautem Dampfregister.

Angesprochen auf die Anlage zeigte sich auch HKK-Geschäftsführer Wolfgang Scholten beeindruckt, denn was Stollberg im alten Schlachthof zu bieten hat, fände man nicht an jeder Ecke, allein wegen der Hersteller und des Alters seien die beiden Maschinen sehr selten. Diesen Standpunkt unterstrich auch Erhard Päßler, der im November mit vor Ort war und begeistert Maß nahm.

Zeitzeuge

Ebenfalls zum Termin erschien Egon Männer, der dem Schlachthof 28 Jahre lang als Maschinist und Heizer bis zur Schließung 1991 treu zur Seite stand. Er bezeichnete die Maschinen als sehr zuverlässig; bis auf den Defekt einiger Ventile und den Austausch von Dichtungsringen leisteten die Verdichter seiner Aussage nach stets treue Dienste. Die Maschinen sollten unter seiner Aufsicht den Raum für das Schlachthoffleisch auf 4 bis 5 °C kühlen. In den warmen Sommermonaten die stärkere Haubold, im Winter die Germania. Die Verdichter haben eine „Laternenschmierung“, betont Männer und die Einspritzung erfolgte von Hand durch Regelventile.

Täglich musste Egon Männer zu Diensten sein, er wohnte nebenan. Die Laternen musste er mit Öl auffüllen und den Rektifikator entleeren. Danach war die Kolbenstangendurchführung zu überprüfen und nicht selten die Stopfbuchse nachzuziehen. Beim Abschalten eines Verdichters galt es zuerst das Regelventil zu schließen und den Verdampfer abzusaugen. Erst nach dem Schließen des Saugabsperrventils konnte der Motor abgeschaltet werden und das Druckabsperrventil geschlossen werden. Der Start eines Verdichters wiederum erfolgte in umgekehrter Reihenfolge, wobei die Einspritzmenge nicht nach Saugdruck, sondern nach Druckgastemperatur eingestellt wurde. Anders, als es heute der Fall ist. Egon Männer war ein viel beschäftigter Maschinist, denn dieses Vorgehen war bei jedem Abtauen, also mehrmals täglich nötig.

Zusätzlich gab es noch einen Blockeiserzeuger für Stangeneis mit Handvorschub und Horizontalrührwerk, so dass als positiver Nebeneffekt Stangeneis zur Kühlung an Fleischereibetriebe, aber auch an Privatleute, für kleine Kühltruhen verkauft werden konnte. „30 Pfennig kostete der Eisriegel“, so Männer, der diese ausgab. Egon Männer ist noch oft auf dem Gelände und findet es „richtig gut“, dass die Stadt den alten Schlachthof als Kulturstätte erhalten möchte.

Inszenierung der Anlage

Die Stollberger Stadtverwaltung wird die Maschinen bei der Neuplanung des Geländes als Kreativwerkstatt nicht abreißen, sondern mit einbeziehen. Für den Betrieb des Objektes hat sich ein Verein mit aktuell rund 40 Mitgliedern unter dem Namen „Art & Event KultSchlachthof e.V.“ gegründet. Vereinsmitglied Marcel Becker begrüßte den Termin im November und gab an, dass die Pläne der Architekten vorlägen, die Stadt Stollberg Eigentümer und der Verein Betreiber des „Schlachthofes“ sein werden. Geplant sind kulturelle Veranstaltungen vor historischer Kulisse, bei denen er sich wünscht, die alten Maschinen zu Schauzwecken wieder elektrisch antreiben zu lassen. Aufgrund der Förderung aus dem europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) nimmt das Projekt weitere Formen an. In der jüngsten Vergangenheit gab es bereits Konzerte, Lesungen und andere interessante Events. Bis Ende 2014 muss das Projekt abgeschlossen sein, um es beim Fördermittelgeber abzurechnen. Die Industriearchitektur des vormaligen Schlachthofes Stollberg eröffnet Möglichkeiten für die Entwicklung unterschiedlichster Projekte und eignet sich dann sicher auch für Besucher aus der Branche. Es ist dann eine Reise „zurück in die Zukunft“.

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