Der rasante Aufstieg von Lindes Eismaschinen AG
Stangeneiserzeugung zum Nachweis der Zuverlässigkeit
Als die dritte Verdichterkonstruktion von Linde, ein liegender Doppelhub–Kreuzkopfverdichter mit zusätzlicher Kolbenstangenabdichtung, unter Verwendung von NH3 als Kältemittel 1880 endlich alle Erwartungen erfüllte, wurde noch im selben Jahr die „Lindes Eismaschinen AG“ zur Vermarktung der Verdichter gegründet. Die AG bestand zu diesem Zeitpunkt aus dem Vorsitzendem Carl Linde, der gleichzeitig das Ingenieurbüro leitete, und einem technischen Zeichner. Das Ganze war in einem Raum in der Hildastraße in Wiesbaden angesiedelt. Die Fertigung der Verdichter sollte vertragsgemäß MAN Augsburg und Sulzer Winterthur übernehmen, die auch wesentliche Teilhaber der AG waren. Es standen mit diesen Partnern sehr potente Fertigungskapazitäten zur Verfügung, leider aber noch keine Abnehmer – die Brauereien als Zielabnehmer trauten der maschinellen Erzeug von Eis zur Bierkühlung nicht.
So entschloss sich Linde Eisfabriken zu bauen. Das Ingenieurbüro wurde kurzfristig mit Personal aufgestockt und weitere Räume wurden angemietet. Noch im gleichen Jahr der Gründung begannen die Planung und der Bau von Eisfabriken in Barmen, Mannheim, Stuttgart, Paris und in München.
Die älteste noch erhaltene Kälteanlage von Linde
Die Anlage in München am Auerbach gibt es heute noch und ist denkmalgeschützt. Sie hat eine Leistung von 300.000 kcal/h, besteht aus zwei Doppelhub–Kreuzkopfverdichtern Typ 14 (Nr. 22 und 23), die durch eine Jonval-Wasserturbine vom Auerbach angetrieben wurden, und diente der Stangeneiserzeugung. Es handelt sich also um Verdichter aus den Anfängen, die übrigens noch heute wie damals in Bewegung gesetzt werden können.
Zur Anlage gehörte weiterhin der über dem Maschinenraum angeordnete Eiserzeuger. Er hatte eine Länge von 22 m, eine Breite von 8 m und war 1,65 m hoch und hatte 2660 Eiszellen für 25 kg Blöcke. Dazu entwickelte Linde den Vorschubmechanismus mit Zellenwagen und gemeinsamer Befüllung und Entleerung.
Die Anlage wurde später vom Paulanerbräu München übernommen, nach der Zerstörung des Gebäudes im Krieg wieder aufgebaut und als Kälteanlage für die Raumkühlung bis 1971 betrieben. 1980 erfolgte die Aufnahme der Anlage in die Bayerische Denkmalliste.
Ab 1995 wurden die Räumlichkeiten mit Turbine und Verdichtern als historisches Maschinenhaus für repräsentative Anlässe der Brauerei oder angemeldete Gruppenbesichtigungen genutzt. Verdichter und Turbine stehen auf Originalfundamenten und können zur Demonstration heute noch in Betrieb genommen werden.
Es ist schon sehr beeindruckend, wenn die Schleuse geöffnet wird, die Turbine sich gurgelnd in Bewegung setzt und das über 4 m große Schwungrad und den Tandemverdichter antreibt. Die doppeltwirkenden Verdichter, wahre Dinosaurier der Technik mit Zylinderdurchmessern von 325 mm und einem Hub 540 mm, bewegen sich mit 60 Hüben pro Minute präzise wie vor über 120 Jahren im gleichmäßigen Takt – da empfindet man schon eine große Hochachtung vor der damaligen Leistung. Immerhin waren diese Verdichter in 90 Jahren vermutlich mehr als 500.000 Stunden in Betrieb – heute geht man bei modernen Verdichtern von einer zu erwarteten Lebensdauer von 50.000 bis max. 100.000 Betriebsstunden aus, bei Automobilmotoren von ca. 7.000 Stunden oder 350.000 km Fahrleistung.
Überzeugungsarbeit bei den Brauereien
Linde schreibt in seinem Buch „Aus meinem Leben und von meiner Arbeit“ sehr ausführlich über Motiv und Bau dieser Anlage (sinngemäß): Nachdem sich die dritte Verdichter-Version bewährt hatte, „haperte es an der Akzeptanz der maschinellen Kühlung bei den Brauereien“ – man vertraute mehr der Natureiskühlung. Daher war der Entschluss, selbst Eisfabriken mit maschineller Kühlung zu bauen, ein voller Erfolg. Er konnte damit nämlich das Natureis unterbieten, den Nachweis für die Zuverlässigkeit seiner Anlagen führen und die Anlagen gleichzeitig für die Erprobung und Schulung des Personals nutzen.
Dieser Erfolg der maschinellen Eisherstellung löste einen regelrechten Hype auf die Eisfabriken aus, sodass Linde seine Anlagen mit gutem Gewinn wieder verkaufen konnte. Stattdessen warb er bei den Brauereien für Solekühlanlagen zur Lagerkellerkühlung. „Schon zwei Jahre nach Einführung der ersten Anlage war es die feste Meinung in der Brauwelt, dass diese zweite Aufgabe der maschinellen Kühlung noch wertvoller sei als die Eiserzeugung.“ (Zitat aus dem Buch „Aus meinem Leben und von meiner Arbeit“) Als Linde 1891 wieder nach München ging, waren die Verdichter schon in 445 Brauereien in Gebrauch und der Erfolg setzte sich dann eben so schnell in Fleisch-Kühl- und Gefrieranlagen rasant fort.
Wie geht es mit der Anlage in München weiter?
Das alte Maschinenhaus der Anlage am Auerbach wurde im letzten Jahr allerdings abgerissen, die Verdichter nebst Anlageteilen aber am Standort belassen. Es soll an gleicher Stelle ein neues, sehr attraktives Eventcenter entstehen, das im Rohbau von Paulaner bereits fertiggestellt wurde. Damit ist auch sichergestellt, dass diese wirklich interessante Anlage, auch zukünftig wieder besichtigt werden kann.