Bewertung innovativer Kälteprozesse
Dynamische Simulation, Einsparpotenziale und Anwendung
Die Steigerung der Produktivität, der Energieeffizienz und der Produktqualität gewinnen bei Produktionsprozessen mit Kälteanwendung immer mehr an Bedeutung. Eine innovative Konzeptfindung im Einklang mit Verordnungen und angepasst an den Kälteanwendungsprozess erfordert neue Bewertungsmethoden. Mit dynamischer Systemsimulation in der Kältetechnik können sowohl ungenutzte Energieeinsparpotenziale erkannt werden, als auch innovative Kälteprozesse bewertet und untereinander verglichen werden.
Der Energiebedarf der in Deutschland installierten Kältesysteme beträgt ca. 15 % des gesamten deutschen Elektroenergiebedarfs. In Deutschland sind ca. 120 Mio. Kälteanlagen installiert und im Bereich der Industrie- und Prozesskälte ist der Verbrauch an elektrischer Energie in einem Zeitraum von zehn Jahren (1999 bis 2010) um 51 % angewachsen [1] [2]. Betreiber von Kälteanlagen sind nach EU-Energieeffizienzrichtlinie (2012/27/EU) dazu verpflichtet, die Gesamtenergiebilanz zu verbessern. Des Weiteren sind Betreiber bestrebt, die Produktionsnebenkosten zu senken, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Dabei fehlt es oft an Wissen, um Kälteprozesse fachgerecht und effizient zu optimieren.
Innovative Kälteprozesse
Die Kombination aus Kältekonzept, Kältemittel, Füllmenge, Aufstellungsort und effizienter Betrieb der Anlage über den Lebenszykluszeitraum stellt Betreiber, Planer und Anlagenbauer vor neue Herausforderungen. Die verschärfte F-Gase-Verordnung fordert bis zum Jahr 2030, das CO2-Äquivalent der F-Gase EU-weit um fast 80 % zu verringern. Komponenten der Kälteanlagen müssen unter Berücksichtigung der Wahl des Kältemittels und der Systemfüllmenge (GWP) Mindesteffizienzwerte nach Ökodesign-Richtlinie erfüllen. Das Effizienzsteigerungspotenzial für Kälteprozesse liegt, je nach Anlage und Standort, im Bereich von 10-40 %, verbunden mit einer Kosteneinsparung und einer Verbesserung der CO2-Bilanz (siehe Abbildung 1) [3]. Gesamtprozessoptimierung und Effizienzsteigerung werden oftmals nur teilweise oder gar nicht ausgeschöpft. Diese können allerdings durch dynamische Systemsimulation und eine ganzheitliche Betrachtung von Kältelast, Kälteanlage und Wirtschaftlichkeit aufgezeigt werden. Das sollte stets vor dem Hintergrund einer Betrachtung der Lebenszykluskosten geschehen, da die kumulierten Energiekosten die Investitionskosten um ein Fünf- bis Zehnfaches übersteigen können. Benchmarking, energetische Bewertung und Vergleich von Kälteanlagen nach Energieeffizienzgraden gewinnen in den nächsten Jahren immer mehr an Bedeutung. Die SiMREFF-Methodik der dynamischen Systemsimulation ermöglicht es, all diesen Vorgaben gerecht zu werden, innovative Konzepte zu erarbeiten und Systemkomponenten zu optimieren.
Methodik SiMREFF
Die Methodik SiMREFF (Simulation, Refrigeration & Efficiency) stellt eine wissensbasierte Dienstleistung zur Planung, Inbetriebnahme und Betriebsoptimierung von Kälteanlagen dar. Angewendet wird die neu entwickelte SiMREFF-Simulationssoftware. SiMREFF verknüpft und simuliert dynamisch drei Prozesse und führt zu einer ganzheitlichen Betrachtung (Abbildung 2). Jeder Prozessschritt wird durch einen Simulationsbaustein, den Anwender-, Kälte- und Wirtschaftlichkeitsprozess, abgebildet. In Abhängigkeit von Produktionsweise, Klimabedingungen und Teillastverhalten wird für ein Jahr ein stündliches Kältebedarfsprofil berechnet und daraus wird das effizienteste und wirtschaftlichste Kälteanlagen- und Regelungskonzept ermittelt. Die Innovation dieser Systemsimulation besteht in der detailgetreuen Modellierung und Abbildung sowie Verknüpfung der Einzelprozesse.
Dieser Systemsimulation liegen mathematische und physikalische Modelle, ein fundiertes Wissen über Anwendungsprozesse und das Wissen über Betriebsverhalten der eingesetzten kältetechnischen Komponenten und Systeme zugrunde. Ergänzt werden diese Systemstudien durch wirtschaftliche Analysen. Eine Abbildung innovativer Kälteprozesse, Kälte-Wärme-Kopplungen oder kombinierte Gebäudekonzepte mit Prozesskälte, Wärmepumpe und Freier-Kühlung können im SiMREFF-Modell umgesetzt und neutral verglichen werden. Kundenspezifische Auslegungstools und Anlagenkonzepte können individuell realisiert werden und für BAFA-Anträge bewertet werden, wie jüngst geschehen für die hoch zu bewertende Innovation, den „eChiller“ mit Wasser als Kältemittel.
SiMREFF-Softwaremodell
Das SiMREFF-Rechenmodell besteht aus diversen in Tabellenform angereihten Eingabe- und Ausgabemasken. Die grafische Nutzeroberfläche ermöglicht es, die erstellten Simulationsmodelle zu parametrieren und die Berechnungen durchzuführen. Es können Herstellerangaben der verwendeten Komponenten eingegeben oder aktuelle Betriebsgrößen des zu berechnenden Lastzustands vordefiniert werden. Die Anwenderprozessmaske wurde für die unterschiedlichsten Lastprofile und Prozesse gestaltet und legt u.a. die Verwendung der Klimadaten fest. Es können deutsche Standorte, nach dem Testreferenzjahr des Deutschen Wetterdienstes, oder internationale Wetterdaten, aus der ASHRAE-Klimadatenbank, verwendet werden. Die dynamische-stündliche Lastprofil-Abbildung des Anwenderprozesses kann auf Basis von Monats-, Wochen- oder Stundenwerten erfolgen. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, einen stündlichen Kälteleistungsbedarf aus einer thermisch-energetischen Gebäudesimulation einzulesen oder direkt den stündlichen Kälteleistungsbedarf von Lüftungsanlagen durch das integrierte h,x-Modul zu ermitteln. Somit steht ein vollständiges stündliches Lastprofil der Kälteanlage über 8760 h/a zur Verfügung. Kern der Simulation ist die exakte Abbildung des Kälteprozesses, der je nach Anwendung variiert. Hierzu zählen neben dem/den Verdichter(n) auch die Abbildung der Wärmeübertrager, Ventilatoren und Sekundärkreispumpen. Das Simulationsmodell der Kältemaschine wurde in einer Softwareumgebung mit integrierter Stoffdatenbank entwickelt. Zur Parametrierung des Verdichters werden Herstellerdaten nach DIN EN 12900 [4] benötigt und für die Simulation in Polynome umgeformt, woraus Wirkungsgrade abgeleitet werden. Zur Abbildung stetiger Verdichterdrehzahlen werden die Polynome für unterschiedliche Drehzahlen ermittelt und unbekannte Drehzahlen werden interpoliert. Auch für Wärmeübertrager werden Auslegungsdaten der Hersteller verwendet. Um auch das Teillastverhalten auf der Wärmeauf- und -abnahmeseite abbilden zu können, werden vorab die Wärmeübergangskoeffizienten bei unterschiedlichen Kältemittel- und Fluidmassenströmen abgeleitet. Aus den daraus gewonnen Daten werden neue Exponentialfunktionen gebildet, die eine Beschreibung des Teillastverhaltens und der Wärmeübergangskoeffizienten im aktuellen Betriebspunkt ermöglichen. Das so entwickelte Modell, z.B. einer Kompressionskältemaschine, ermöglicht die Berechnung verschiedenster Betriebspunkte der Anlage unter Berücksichtigung sämtlicher Anlagendruckverluste, kältemittel-, prozesswasser- und kühlwasserseitig.
SiMREFF-Bewertung
Mit Hilfe des Simulationsmodells wird das Betriebsverhalten einer realen Kälteanlage unter verschiedensten Umgebungstemperaturen und Lastanforderungen abgeleitet. Aus der Simulation sind dynamische, optimal angepasste Betriebsparameter, wie optimale Verflüssigungstemperaturen, Regelstrategien oder Umschaltpunkte bei Nutzung von freier Kühlung abzuleiten und in Form von Gleichungen darstellbar. Um das Optimierungspotential aufzuzeigen, wird die Simulation mit verschiedenen Anlagenkomponenten und Regelparametern durchgeführt. Nach der Simulation werden energetische Jahreskennzahlen, wie beispielsweise Jahresarbeitszahlen (SEER für verschiedene Bilanzgrenzen), Leistungszahlen (EER an beliebigen Betriebspunkten) und Effizienzwirkungsgrade der Kälteanlage in Anlehnung an VDMA 24247 [5], ausgewiesen. Die Software ermöglicht neben der stündlichen Abbildung (siehe Abbildung 6) des Anwenderkühlprozesses und der Kälteanlage eine Bewertung der Investitions- und Betriebskosten. D.h. die Lebenszykluskosten werden unter Berücksichtigung von Risiko- und Sensitivitätsanalysen über den Betriebszeitraum der Anlage ermittelt. Alle relevanten Eingaben und alle Ergebnisse werden nach der Berechnung automatisch grafisch und tabellarisch aufbereitet und in Masken ausgegeben. Abbildung 3 zeigt beispielhaft eine OUTPUT-Oberfläche der entwickelten Software SiMREFF, die IST-Leistungen und Kennzahlen darstellt.
SIMREFF unterstützt somit Beratungsleistungen nach dem EDL-Gesetz bzw. kann zur softwaregestützten Energieberatung für Kälteanlagen im Rahmen eines BAFA-Energieaudits verwendet werden. Das Berechnungsverfahren bietet eine einheitliche Vergleichsbasis für unterschiedliche Kälteanlagenkonzepte und eignet sich zur neutralen energetischen Beurteilung und Optimierung von Anlagen. Es findet Einsatz sowohl in der Planung als auch bei der Bewertung von Anlagen im Bestand.
Anwendung in der Praxis
Am Beispiel einer industriellen Prozesskälteanlage wird eine mögliche Anwendung der SiMREFF-Simulationssoftware erläutert. Die Hauptkomponenten der Kälteanlage wurden bereits in der Planung durch den Hersteller in Hinblick auf einen effizienten Anlagenbetrieb aufeinander abgestimmt. Die Herausforderung für SiMREFF bestand in einer weiteren Effizienzsteigerung der Anlage durch die Definition einer optimierten und implementierbaren Regelstrategie. Bei der Anlage handelt es sich um eine von der Combitherm GmbH für Außenaufstellung geplante Industrie-Prozesskälteanlage (siehe Abbildung 4). Diese besteht aus zwei getrennten R134a-Kältekreisläufen, Verflüssigern mit EC-Ventilatoren, drehzahlgeregelten Schraubenverdichtern sowie zwei drehzahlgeregelten Prozesswasserpumpen. Die Prozesskälte (6/12 °C) wird ganzjährig für Labors, Produktionsmaschinen und zusätzlich in den Sommermonaten für die Gebäudeklimatisierung eingesetzt. Die Produktion erfolgt im Dreischichtbetrieb. Somit resultieren annähernd 8760 h Betriebsstunden im Jahr. Für die Generierung des Kältelastprofils (Anwenderprozess) ist ein außentemperaturabhängiges Lastprofil mit einer Grundlast von 320 kW und einer maximalen Kühllast von 920 kW ermittelt worden. Die maximale Last tritt ab einer Außenlufttemperatur von 32 °C auf. Wesentliche Randbedingungen zum Lastprofil sind aus Tabelle 1 zu entnehmen.
Die Kältemaschine wurde für dieses individuelle Kundenprojekt mit dem SiMREFF-Simulationsmodell abgebildet. Auf Basis des vorhin genannten Lastprofils oder der Teillastverhältnisse, der Verdichter-Polynome, der Wärmeübertrager-Kennzahlen, der Druckverluste im Kältekreislauf und Energieverbräuche der Prozesswasserpumpen wurde eine Jahressimulation durchgeführt. Aufbauend auf diesem Modell wurden aus der Jahressimulation optimierte Regelstrategien abgeleitet und mit Energiebilanzen ausgewertet. Die für den Standort und entsprechend dem Lastprofil effizienteste Variante wurde identifiziert und daraus ein neues gesamtes spezifisches SiMREFF-Kälteanlagen-Polynom erzeugt. Das sogenannte SiMREFF-OPT-Load-Polynom wurde letztendlich in die speicherprogrammierbare Regelung (SPS) der realen Combitherm-Kälteanlage implementiert, siehe Abbildung 5.
Ein Vergleich zwischen einer Regelstrategie mit konstanter Verflüssigungstemperatur (tcmin konst.) und der optimierten SiMREFF-Regelstrategie (OPT-Load-Polynom) zeigt Tabelle 2 und Abbildung 6. Die statische Regelstrategie regelt die Verflüssigungstemperatur auf konstant 30 °C, während die dynamische Regelstrategie eine variable Verflüssigungstemperatur von minimal 25 °C zulässt. Eine variable Verflüssigungstemperatur führt zu einer Betriebsweise, die die Komponenten, Verdichter und Verflüssigungsventilatoren in einem energetisch optimalen Gleichgewicht hält. Dies wiederum ermöglicht einen energetisch optimierten Betrieb der Gesamtkälteanlage unter schwankenden Lastanforderungen und Außentemperaturen. Es ergeben sich Einsparungen an elektrischer Energie von ca. 63 MWh/a und der ermittelte mittlere EER über 8760 h/a steigt um ca. 15 % von 6,49 auf 7,60 an. Ein Vergleich der Leistungszahlen für die beiden Betriebsweisen ist in Abbildung 6 dargestellt. Durch diese regelungstechnische Optimierung an der Kältemaschine ergibt sich eine Einsparung von ca. 12 % bzw. 11.676 €/a (Strompreis 0,16 Ct/kWh). Die Ergebnisse zeigen, dass die Anwendung des spezifisch erstellten SiMREFF-OPT-Load-Polynoms, ermittelt aus der Simulationsberechnung, ein beachtliches Optimierungspotential birgt (vgl. Abbildung 6). Dies setzt allerdings präzise Kenntnisse des Lastverlaufs auf Betreiberseite voraus. In Unkenntnis eines Lastprofils hat die statische Regelstrategie nach wie vor ihre Berechtigung.
Fazit
Die angewandte Methodik SiMREFF zeigt am Beispiel des Praxisobjekts, dass bedingt durch eine optimierte Betriebsweise ohne einen Austausch von Komponenten, Einsparungen von bis zu 12 % bei einem Return-on-Investment (ROI) von sechs Monaten möglich sind. Dieses Ergebnis deckt sich mit den möglichen Effizienzsteigerungspotenzialen, wie in Abbildung 1 dargestellt. Die Auswertung von Monitoringdaten an dieser Anlage und ein erster Vergleich von Einzelergebnissen aus der Simulation mit aktuellen Anlagendaten zeigt, dass das SiMREFF-OPT-Load-Polynom erfolgreich in die Anlagenregelung implementiert wurde. Die Gesamtprozessoptimierung und die Effizienzsteigerung können erst durch die dynamische Systemsimulation und eine ganzheitliche Betrachtung des Anwender-, Kälte- und Wirtschaftlichkeitsprozess erreicht werden.
Das Effizienzsteigerungspotenzial für Kälteprozesse liegt je nach Anlage und Standort im Bereich von 10-40 % und es gilt dieses individuell zu identifizieren. Innovative Kälteprozesse können im SiMREFF-Modell abgebildet und neutral verglichen werden.
Die Ergebnisse können daher auch zur softwaregestützten Energieberatung für Kälteanlagen im Rahmen eines BAFA-Energieaudits herangezogen werden.