Die Schweiz ist Spitzenklasse
Einsatz natürlicher Kältemittel im Alpenland
Angesichts der revidierten F-Gase-Verordnung gilt es für die Kälte- und Klimabranche, auf umweltfreundliche, wirtschaftlich rentable und zukunftsfähige Anwendungen umzustellen. Ein Wegweiser ist an dieser Stelle die Schweiz. Doch was genau führt das Alpenland zu seiner Vorreiterrolle? Hervorragende Energiestandards und eine Gesetzgebung mit höchsten Ansprüchen an nachhaltige Kälte- und Klimalösungen zählen definitiv dazu. Vielmehr ist es aber auch der Innovationswille von Planern, gepaart mit einer hohen Bereitschaft der Betreiber, neue Technologien einzusetzen.
Gesetzliche Beschränkungen für klimawirksame Kältemittel
Die Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung regelt in der Schweiz den Einsatz sogenannter „in der Luft stabiler Stoffe“ – den fluorierten Kohlenwasserstoffen mit einer Halbwertszeit in der Luft von mehr als zwei Jahren. Hierzu zählen fast alle fluorierten Kältemittel außer R152a und viele HFOs. Durch eine Verordnungsverschärfung gilt seit Ende 2013 zudem ein Teilverbot für Anlagen mit Kältemittel mit hohem Treibhauspotential. „Die Emissionen umweltbelastender Kältemittel müssen soweit wie technisch und wirtschaftlich möglich vermieden werden. Dazu haben wir entsprechend des aktuellen Stands der Technik die Verbote so angepasst, dass ihre Umsetzung zwar anspruchsvoll, aber möglich ist.“, sagt Blaise Horisberger vom Bundesamt für Umwelt (BAFU). In der Praxis betrifft dieses Verbot etwa Industriekälteanlagen über 400 kW, Gewerbekälteanlagen ab kleineren Leistungsbereichen, Klimaanlagen und Wärmepumpen über 600 kW oder auch Kunsteisbahnen. „Die heutige Regelung sollte nach unseren Schätzungen dazu führen, dass natürliche Kältemittel und HFOs langfristig etwa zwei Drittel der installierten Kältemittelmenge entsprechen“, so Horisberger. „Werden natürliche Kältemittel auch weiterhin erfolgreich zum Einsatz kommen, bestehen gute Chancen, dass Betreiber künftig in erster Linie auf Ammoniak, CO2 und Co. setzen.“
Kühlen und heizen mit Ammoniak
Ein rundum positives Beispiel für den Einsatz natürlicher Kältemittel ist die südlich von Chur gelegene Fleischtrocknerei Churwalden AG. Mit dem Ziel, möglichst nachhaltig mit Ressourcen umzugehen, wurde das Gebäude sukzessive auf modernsten technischen Stand gebracht. Dazu baute das Unternehmen auch eine neue Kälteanlage – natürlich mit Ammoniak. „Viele unserer Kunden wünschen sich eine Lösung mit natürlichen Kältemitteln, um ihre Anlage langfristig nutzen zu können – so auch die Fleischtrocknerei“, berichtet Beat Schmutz, Geschäftsführer des eurammon-Mitglieds SSP Kälteplaner AG. Da das ganze Jahr über Wärme- und Kälteenergie benötigt wird, um das Fleisch zu trocknen, setzt SSP Kälteplaner auf ein integrales Gebäudekonzept, das die Abwärme der neuen Kälteanlage für Heizung und Warmwasser nutzt. Dafür wird anfallende Abwärme aus der Druckluft- und Kälteerzeugung in einem großen Schichtspeicher mit einer Kapazität von 30 000 Litern gesammelt und von dort temperaturselektiv zu den einzelnen Verteilern geleitet. Auf die alte Ölkesselanlage, die vorher die Wärmeenergie mehrheitlich generierte, kann die Fleischtrocknerei nun beinahe verzichten: Sie wird nur noch bei Bezugsspitzen zugeschaltet, so dass sich der jährliche Ölverbrauch um 70 % reduziert. Beeindruckend ist auch der massive Abbau der CO2-Emissionen. Ganze 320 Tonnen CO2 spart die neue Anlage ein und trägt so beachtlich zum Klimaschutz bei.
Supermarktkälte mit natürlichen Kältemitteln hat bei Migros Tradition
Energieeffizient, kostengünstig und klimaschonend: Im Bereich der Gewerbekühlung weisen Betreiber wie Migros, eine der größten Supermarktketten in der Schweiz, den Weg. Schon seit 1994 verwendete Migros Ammoniak-Anlagen und verschiedene CO2-Systeme für den Tiefkühl- und den Pluskühlbereich. Heute ist CO2 das Standardkältemittel und kommt bei mehr als 370 Anlagen in über 227 Supermärkten zum Einsatz – mehrheitlich in Form eines CO2-Booster-Systems mit Abwärmenutzung. Zahlreiche Märkte können ausschließlich durch diese Abwärme beheizt werden. Die Gründe für die lange Tradition von Systemen mit natürlichen Kältemitteln liegen in einer ganzheitlichen Klima- und Energiestrategie: „Unser Ziel ist es, den direkten und indirekten Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 um 20 % gegenüber 2010 zu reduzieren“, erklärt Urs Berger, Leiter Energie- und Gebäudetechnik bei Migros. „Direkte Treibhaus-Emissionen können letztendlich nur mit einem natürlichen Kältemittel wie Kohlenstoffdioxid eliminiert werden.“
Ebenso wichtig für Gewerbekälte ist die Energieeffizienz. Diese stieg bei Migros deutlich: Vor der Einführung der CO2-Technologie lag der Zielwert der Kältevergleichszahl bei 4000 kW/m x a, einer Kalkulation des Elektrizitätsverbrauchs der Kälteanlage pro Laufmeter Kühlmöbel und Jahr. „Durch die Effizienz der Anlagen haben wir aktuell Zielwerte zwischen 2000 und 2700 kWh/m x a“, so Berger. Massiv reduzierte Betriebskosten sprechen auch finanziell für diese Anlagen. Die CO2-spezifischen Sicherheitsanforderungen werden durch die Kälteanlagenersteller und auf der Betreiberseite erfüllt. „Mit jedem Technologiewandel ist auch eine Lernphase verbunden. Die CO2-Anlagen haben sich in der Praxis bewährt und sind zuverlässig“, betont Urs Berger.
Erste sanierte Kunsteisbahn in Minergie-Standard
Eine große Herausforderung stellen zu sanierende Kunsteisbahnen dar: enorme Kälteleistungen und oft eingeschränkte Platzverhältnisse für neue Kälteanlagen. Das eurammon-Mitglied acoenergy nahm diese Aufgabe in einem aktuellen Projekt an und setzt dabei auf höchste Energiestandards. Die neue Kälteanlage eines regionalen Eissportzentrums im Schweizer Mittelland soll bei geringen Investitionskosten über maximale Energieeffizienz und niedrige Betriebskosten verfügen. Dafür entwickelte acoenergy ein hocheffizientes, indirektes NH3-System mit Wasserglykol-Gemisch als Kälteträger, das bei einer Kälteleistung von ca. 1,2 MW Eislaufbahnen und eine Curlinghalle kühlt. Die Inbetriebnahme wird 2016 und 2017 in zwei Etappen erfolgen. Voraussichtlich mit dem Ergebnis, bis zu 34 % Energie und etwa 50 % CO2-Emissionen einzusparen. Das Besondere an der Kälteanlage: Sie entspricht dem Minergie-Standard – einer freiwilligen, über gesetzliche Anforderungen hinausgehenden Qualitätsrichtlinie für energetisch optimierte Gebäude. Für Kunsteisbahnen gelten hierbei 23 Kriterien – etwa für Neubauprojekte ein Mindest-Abwärmenutzungsgrad von 70 %, der durch eine detaillierte Bilanzierung nachzuweisen ist. Nach der bereits erfolgten provisorischen Zertifizierung schließt eine zweijährige Betriebsoptimierungsphase an, die für den letzten Schliff zur energetischen Spitzenklasse sorgt. „Neubauprojekte für Kunsteisbahnen werden vorwiegend nach diesem freiwilligen ökologischen Standard geplant“, sagt Stephan Lutz von acoenergy. „Dabei wird unser Sanierungsprojekt das erste seiner Art sein.“
Höchste Standards für die Zukunft
Die Schweiz zeigt exemplarisch, wie es gelingt, natürliche Kältemittel erfolgreich einzusetzen und dabei höchste energetische Maßstäbe zu erfüllen. „Der Schweiz kommt diese Vorreiterrolle zu, weil sie seit vielen Jahren durch eine systematische Einschränkung klimawirksamer Kältemittel den Einsatz von natürlichen Kältemitteln vorantreibt, die Kältebranche diese Herausforderung angenommen hat und auch die Betreiber großen Wert auf nachhaltige Kältetechnik legen “, erklärt Urs Berger von Migros. Kurzum: Man hat es in der Schweiz geschafft, die Herausforderung verschärfter gesetzlicher Vorgaben zu bewältigen – und man blickt weiter in die Zukunft. Denn vor allem in kleinen Leistungsbereichen, etwa bei kleineren Kälte- oder Wärmepumpenanlagen, liegt noch großes Potential, mit dem Einsatz natürlicher Kältemittel direkte und indirekte Treibhausgasemissionen enorm zu reduzieren.